1. Rechtliche Rahmenbedingungen1.1 Deutschland und EuropaVerfassungsreform ohne Grundrecht auf DatenschutzDas am 15. November 1994 in Kraft getretene Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes 1 läßt das Grundrecht auf Datenschutz unberücksichtigt. Damit wurde eine Chance vertan, dem seit dem "Volkszählungsurteil" des Bundesverfassungsgerichts von 1983 eingetretenen Verfassungswandel auch durch eine Änderung des Verfassungstextes Rechnung zu tragen und der massenhaften Verarbeitung und systematischen Verknüpfung personenbezogener Daten eine ausdrückliche Grenze im Grundgesetz zu ziehen. Im Zuge der Verfassungsreform wurde der Katalog der konkurrierenden Gesetzgebung um "die Untersuchung und die künstliche Veränderung von Erbinformationen" ergänzt (Art. 74 Abs. 1 Nr. 26 GG). Damit ist eine verfassungsrechtliche Voraussetzung für die dringend erforderliche bundesgesetzliche Regelung der Analyse des menschlichen Genoms geschaffen worden, die nun nicht mehr länger aufgeschoben werden sollte. BundesgesetzgebungZahlreiche im Berichtszeitraum verabschiedete Bundesgesetze enthalten entweder bereichsspezifische Datenschutzregelungen oder Vorschriften, die Auswirkungen für den Datenschutz auch in Berlin haben. So wurde mit dem Gesetz zur sozialen Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit (Pflegeversicherungsgesetz) das Sozialgesetzbuch um ein XI. Buch ergänzt, das am 1. Januar 1995 in Kraft getreten ist 2. Das Gesetz über die Pflegeversicherung ist ein erneutes Beispiel dafür, daß die erhöhte staatliche Fürsorge - in diesem Fall für Pflegebedürftige - auch zu einem stark erhöhtem Informationsbedarf der Sozialleistungsträger, insbesondere der neu gebildeten Pflegekassen, führt. Jeder versicherungspflichtige Bürger ist im Pflegefall gehalten, zusätzlich weitreichende Angaben über seinen persönlichen Lebensbereich zu machen, wenn er nicht Gefahr laufen will, daß ihm Leistungen im Fall seiner Pflegebedürftigkeit verwehrt werden. Seine informationelle Selbstbestimmung wird gewissermaßen fürsorglich beschränkt. Ob die von den Pflegekassen an die Pflegebedürftigen sowie die Medizinischen Dienste ausgegebenen umfangreichen Fragebogen sich im Rahmen des gesetzlich Zulässigen halten, wird noch zu prüfen sein. Positiv zu vermerken ist allerdings, daß das Pflegeversicherungsgesetz ein eigenes Kapitel zum Datenschutz enthält, in dem der Schutz der Versichertendaten für diese neu eingeführte Art der Sozialversicherung ergänzend zum X. Buch des Sozialgesetzbuchs geregelt wird.
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Die allgemeinen Regeln des Sozialdatenschutzes im X. Buch des Sozialgesetzbuchs
wurden durch das Gesetz zur Änderung von Vorschriften des
Sozialgesetzbuchs über den Schutz der Sozialdaten sowie zur Änderung
anderer Vorschriften (2. Gesetz zur Änderung des Sozialgesetzbuchs -
2. SGBÄndG) 3 grundlegend novelliert
und in erster Linie den Vorschriften des 1990 geänderten
Bundesdatenschutzgesetzes angepaßt. Allerdings wurde noch in der
Schlußphase der langwierigen Beratungen dieses Gesetzes im Bundesrat
versucht, das Sozialgeheimnis gegenüber dem bisherigen Rechtszustand
stark einzuschränken. So erfuhren wir von dritter Seite, daß das
Land Berlin im Bundesrat beantragt hatte, durch Anrufung des
Vermittlungsausschusses alle Sozialleistungsträger zu ermächtigen,
der Polizei und den Gerichten auch den Aufenthaltsort eines
Sozialleistungsempfängers mitzuteilen. Dieser Vorstoß der
Senatsverwaltung für Inneres hätte eine Abkehr von der bisherigen
Verwaltungspraxis in Berlin bedeutet, wie sie im gemeinsamen Rundschreiben
über die Offenbarung von Sozialdaten im Rahmen der Amtshilfe nach §
68 SGB X der Senatsverwaltungen für Gesundheit, Soziales und Familie,
Schule, Jugend und Sport sowie Arbeit und Betriebe
4 niedergelegt ist. Wir sind diesem Antrag
ebenso entgegengetreten wie die Senatsverwaltung für Soziales. Auch
der Bundesrat hat den Antrag Berlins, den Vermittlungsausschuß aus
diesem Grund anzurufen, abgelehnt. Das ist zu begrüßen, denn die
Sozialleistungsbehörden dürfen nicht "auf dem kleinen Dienstweg"
zum verlängerten Arm der Polizei werden. Das Sozialgesetzbuch sieht
auch in seiner neuen Fassung ein praktikables Verfahren vor, nach dem der
Richter Ausnahmen vom Sozialgeheimnis für Zwecke der Strafverfolgung
anordnen kann, zumal die Voraussetzungen für die Offenbarung der Daten
gelockert wurden.
Im Vermittlungsausschuß ist auf Druck der Länder die bisherige Verpflichtung zur Bestellung von besonderen Datenschutzbeauftragten bei den Sozialbehörden gestrichen worden. Allerdings bleiben die Bestimmungen des Berliner Datenschutzgesetzes, die die Bestellung von behördlichen Datenschutzbeauftragten in den Bezirken vorsehen, unberührt 5. Auch die Bestellung von besonderen Beauftragten für den Sozialdatenschutz in den bezirklichen Sozialämtern hat sich bewährt und sollte beibehalten werden. Mit dem 2. SGB-Änderungsgesetz ist zugleich eine begrenzte Verpflichtung zur Übermittlung von Wohngelddaten an die Behörden, die die Fehlbelegungsabgabe einziehen, in das Wohngeldgesetz aufgenommen worden 6. Dies war erforderlich, weil die Erhebung der Fehlbelegungsabgabe keine Aufgabe nach dem Sozialgesetzbuch ist, so daß dieses bisher eine Datenübermittlung durch die Wohngeldstellen nicht zuließ. Mit dem Ersten Gesetz zur Änderung des Melderechtsrahmengesetzes, das am 20. März 1994 in Kraft trat 7, wurde die Befugnis der Meldebehörden geschaffen, auch vor Wahlen zum Deutschen Bundestag oder zum Europäischen Parlament den Parteien, Wählergruppen und anderen Trägern von Wahlvorschlägen Meldedaten von wahlberechtigten Bürgern bezogen auf bestimmte Altersgruppen zu übermitteln. Den Bürgern steht auch in diesen Fällen ein Widerspruchsrecht zu, wie es das Berliner Meldegesetz bereits seit längerem für die Vorbereitung zu den Wahlen zum Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen vorsieht. Im einzelnen bleibt die Regelung im novellierten Melderechtsrahmengesetz allerdings erheblich hinter dem Berliner Landesrecht zurück. In anderen Punkten wird eine Anpassung an das geänderte Melderechtsrahmengesetz erforderlich sein. Durch eine Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes 8 erhielt der Bundesbeauftragte für die Stasiunterlagen die Befugnis zur Verwendung bestimmter Informationen aus dem Zentralen Einwohnerregister der ehemaligen DDR, u.a. des Personenkennzeichens. Zugleich wurde der Bundesbeauftragte verpflichtet, diese Daten auf Ersuchen sowohl den Gerichten als auch den Strafverfolgungsbehörden zur Erfüllung ihrer Aufgaben zu übermitteln. Die Kritik der Datenschutzbeauftragten an dieser Regelung blieb unberücksichtigt 9. Allerdings ist das Gesetz bis Ende 1996 befristet. Erstmals ist auf Bundesebene durch das am 29. April 1994 in Kraft getretene Gesetz über die Voraussetzungen und das Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen des Bundes (Sicherheitsüberprüfungsgesetz) 10 die seit langem überfällige gesetzliche Grundlage für Sicherheitsüberprüfungen in der Bundesverwaltung geschaffen worden, während sie für die Berliner Landesverwaltung noch immer aussteht. Mit erheblicher Verzögerung trat am 16. Juli 1994 das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 90/313/EWG des Rates vom 7. Juni 1990 über den freien Zugang zu Informationen über die Umwelt11 in Kraft. Wesentlicher Bestandteil dieses Gesetzes ist das Umweltinformationsgesetz (UIG) , dessen Anwendungsbereich größer ist, als es der Titel des Gesetzes nahelegt. Sowohl der Kreis der verpflichteten Behörden als auch der Begriff der "Informationen über die Umwelt" ist so definiert, daß keineswegs nur Umweltbehörden im engeren Sinne ihr Informationsverhalten gegenüber den Bürgern werden ändern müssen, sondern z.B. auch Planungs- und Baubehörden. Im Abstand von jeweils vier Wochen sind im letzten Quartal 1994 drei Gesetze im Bereich des Polizei- und Ordnungsrechtes und des Strafprozeßrechtes in Kraft getreten, nämlich das Ausländerzentralregistergesetz, das Bundesgrenzschutzneuregelungsgesetz und das Verbrechensbekämpfungsgesetz. Mit dem am 1. Oktober 1994 in Kraft getretenen Gesetz über das Ausländerzentralregister (AZRG)12 wurde eine bundesweit zentrale Verarbeitung von Ausländerdaten sanktioniert. In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, daß ein bundesweites Melderegister für Inländer stets als verfassungswidrig angesehen worden ist, weshalb auch nach dem Einigungsvertrag das Zentrale Einwohnerregister der ehemaligen DDR aufgelöst wurde. Diese besondere Behandlung von Ausländern wird dadurch um so problematischer, als mit dem AZR über den Vollzug des Ausländergesetzes hinaus weitere Zwecke verfolgt werden wie z.B. Verfassungsschutz, Fahndung und vorbeugende Straftatenbekämpfung. Das Bundesgrenzschutzneuregelungsgesetz (BGSNeuRegG) trat am 1. November 1994 in Kraft; es sieht neue weitreichende Befugnisse zum Abgleich zwischen Verfassungsschutz und Bundesgrenzschutz vor 13. Am 1. Dezember 1994 trat das Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung und anderer Gesetze (Verbrechensbekämpfungsgesetz) 14 in Kraft, das zum einen Regelungen für ein länderübergreifendes staatsanwaltschaftliches Verfahrensregister und zum anderen neue Befugnisse des Bundesnachrichtendienstes zur Weitergabe von Erkenntnissen aus der Fernmeldeaufklärung an Verfassungsschutzämter, Staatsanwaltschaften und Polizeien enthielt. Zu Beginn des Jahres 1995 traten außerdem Änderungen der Zivilprozeßordnung in Kraft, die durch das Gesetz zur Änderung von Vorschriften über das Schuldnerverzeichnis 15 und durch das Gesetz zur Änderung der Vorschriften über die Prozeßkostenhilfe (Prozeßkostenhilfeänderungsgesetz)16 ausgelöst worden waren. Bereits am 9. September 1994 war das Gesetz zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte 17 in Kraft getreten, das erstmals eine gesetzliche Regelung der anwaltlichen Schweigepflicht und der Aufbewahrungsdauer von Handakten enthält. Mit dem Gesetz zur Neuordnung des Postwesens und der Telekommunikation (Postneuordnungsgesetz-PTNeuOG) 18 trat am 1. Januar 1995 auch die zweite Stufe der Postreform in Kraft, in deren Rahmen auch die datenschutzrechtliche Stellung des Telefonkunden gesetzlich neu geregelt wurde. Schließlich tritt im Laufe des Jahres das Gesetz zur Änderung der Gewerbeordnung und sonstiger gewerberechtlicher Vorschriften 19 in Kraft, mit dem die Gewerbeordnung erstmals um ausführliche Regelungen zum Umgang mit personenbezogenen Daten von Gewerbetreibenden ergänzt wird. Zusammenfassend ist festzustellen, daß auf Bundesebene der bereichsspezifische Datenschutz auch im Berichtszeitraum weiter ausgebaut worden ist, was in der Sache nicht immer zu einer Verbesserung der Rechtsstellung des Bürgers geführt hat. Datenschutzrechtliche Regelungen finden sich inzwischen ganz überwiegend in fachspezifischen Gesetzen und nicht in den allgemeinen Datenschutzgesetzen. Damit folgt der Bundesgesetzgeber zunehmend dem Berliner Beispiel und setzt die Forderung des Bundesverfassungsgerichts nach bereichsspezifischen gesetzlichen Regelungen zur Verwendung personenbezogener Daten um. RechtsprechungAus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Berichtszeitraum sind drei Entscheidungen hervorzuheben, die das informationelle Selbstbestimmungsrecht betreffen. In seinem Beschluß vom 26. April 1994 20 hob das Bundesverfassungsgericht die Verurteilung einer Bürgerin wegen Beleidigung auf, die sich in einem Brief an ihren inhaftierten Bruder abfällig über das Personal der Justizvollzugsanstalt geäußert hatte, um ihren Bruder, der Selbstmordabsichten geäußert hatte, seelisch aufzurichten. Die Strafgerichte hatten darin eine strafbare Beleidigung gesehen, weil der Brief der Kontrolle nach dem Strafvollzugsgesetz unterlag und die Absenderin dies gewußt habe. Das Bundesverfassungsgericht stellte demgegenüber klar, daß Äußerungen gegenüber Familienangehörigen und Vertrauenspersonen den Schutz der Privatsphäre auch dann genießen, wenn Dritte (hier: Vollzugsbeamte) im Rahmen einer rechtmäßigen Überwachung des Briefverkehrs Kenntnis von diesen Äußerungen erhalten. Der Grundrechtsschutz wirke sich gerade darin aus, daß der vertrauliche Charakter der Mitteilung trotz der staatlichen Überwachung gewahrt bleibe. Dies gelte unabhängig davon, ob die fragliche Mitteilung in der Haftanstalt eingeht oder sie verläßt oder ob der Verfasser oder Empfänger sich in Strafhaft oder Untersuchungshaft befindet. In einem zweiten Beschluß vom selben Tage 21 hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, daß der bisherige gesetzliche Ausschluß der Ehelichkeitsanfechtung durch das betroffene Kind nach Vollendung des 20. Lebensjahr unabhängig davon, wann das Kind von den Umständen erfährt, die für seine Nichtehelichkeit sprechen, mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, insbesondere dem Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung, nicht vereinbar und damit verfassungswidrig ist. Das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung verleiht nach diesem Beschluß allerdings keinen Anspruch auf Verschaffung von Kenntnissen über die eigene Abstammung, sondern schützt nur vor der Vorenthaltung erlangbarer Informationen 22. Dem Bundesgesetzgeber wurde eine Frist bis zum Ablauf der jetzt begonnenen Legislaturperiode eingeräumt, um einen verfassungsmäßigen Zustand herzustellen. Dies könne entweder dadurch geschehen, daß die Anfechtungsfrist in der Weise ausgestaltet wird, daß sie erst dann zu laufen beginnt, wenn die betroffene Person von den Umständen erfährt, die auf ihre Nichtehelichkeit hindeuten; eine andere Möglichkeit besteht für den Gesetzgeber darin, das Anfechtungsrecht des volljährigen Kindes weiter einzuschränken und zugleich diesem die Möglichkeit zu geben, seine Abstammung ohne Auswirkungen auf das Verwandschaftsverhältnis zu klären. Schließlich hat das Bundesverfassungsgericht 23 über eine Frage entschieden, die mehrere Bürger auch bereits an uns herangetragen hatten. Ein Vermieter hatte die Mieter auf Zustimmung zu einer Mieterhöhung verklagt und sich im Prozeß auf das Gutachten eines Sachverständigen gestützt, der Angaben zur ortsüblichen Vergleichsmiete anhand von Vergleichswohnungen gemacht hatte. Dieser Sachverständige war allerdings nicht bereit, im Prozeß Namen und Anschriften von Mietern und Vermietern der untersuchten Vergleichswohnungen anzugeben, da er diesen Personen zugesagt habe, ihre Daten nicht weiterzugeben. Während die Zivilgerichte das Sachverständigengutachten gleichwohl für verwertbar hielten, hat das Bundesverfassungsgericht betont, ein solches Vorgehen sei mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Mieter und ihrem Anspruch auf ein rechtsstaatliches Verfahren unvereinbar. Diese müßten die Möglichkeit erhalten, die vom Sachverständigen erhobenen und seiner Bewertung zugrunde gelegten Tatsachen zu überprüfen. Die Verpflichtung des Gerichts, die tatsächlichen Grundlagen eines Gutachtens hinreichend zu überprüfen und daran auch die Prozeßbeteiligten mitwirken zu lassen, vertrage zwar Einschränkungen, soweit Rechte anderer beeinträchtigt würden. Das sei insbesondere der Fall, wenn es sich um Daten aus der engsten Privat- oder Intimsphäre unbeteiligter Dritter handele, deren Preisgabe niemanden zuzumuten sei. Allein der Umstand, daß Dritte eine Bekanntgabe von Tatsachen aus ihrer Privatsphäre nicht wünschen und der Sachverständige sich daran gebunden fühle, sei freilich kein ausreichender Grund dafür, dem Mieter die entsprechenden Tatsachen vorzuenthalten und das Urteil auf ein Gutachten zu stützen, das auf diesen Tatsachen beruhe. Zugleich hat das Bundesverfassungsgericht jedoch hervorgehoben, daß der Prozeßgegner Einzelheiten (noch dazu personenbezogene) über die Grundlagen eines Gutachtens dann nicht verlangen könne, wenn der Sachverständige sein Gutachten auf statistisch erfaßtes oder allgemein zugängliches Tatsachenmaterial aufbaut oder sich auf Erfahrungswissen und wissenschaftlich begründete Einsichten stützt. Der Bundesgerichtshof hat in einer vor allem in den neuen Bundesländern zum Teil kritisch aufgenommenen Entscheidung einer Bürgerbewegung in Halle untersagt, in einer öffentlich ausgelegten Liste mit den Klarnamen, Decknamen, Personenkennziffern sowie Einsatzorten und -richtungen von mehreren tausend angeblichen inoffiziellen Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit ohne nähere Angaben über Art und Umfang der jeweiligen IM-Tätigkeit auch den Namen einer Person zu veröffentlichen, die als IM weder eine exponierte Stellung innehatte noch heute im öffentlichen Leben eine herausgehobene Position bekleidet 24. Der Bundesgerichtshof betonte, die in der Namensnennung liegende Prangerwirkung müsse der Betroffene nicht hinnehmen. In der Presse wurde der Inhalt dieser Entscheidung insoweit teilweise unzutreffend wiedergegeben, als mitgeteilt wurde, der Bundesgerichtshof habe jedem inoffiziellen Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit das Recht zugestanden, die Veröffentlichung seines Namens zivilrechtlich zu unterbinden. Wie sich aus den Urteilsgründen ergibt, war dagegen für das Gericht die massenweise undifferenzierte Veröffentlichung von Daten angeblicher inoffizieller Mitarbeiter ausschlaggebend. Selbst für den Fall, daß der Kläger tatsächlich inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit gewesen sei, liege in dieser Form der Veröffentlichung ein rechtswidriger Eingriff in sein informationelles Selbstbestimmungsrecht. Bemerkenswert an dieser Entscheidung ist die generelle Feststellung des Gerichts, daß das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht nur vor einer überzogenen Ausforschung von personenbezogenen Daten durch den Staat schützt, sondern dem Schutzbedürfnis des Einzelnen auch auf der Ebene bürgerlich-rechtlicher Verhältnisse einen entsprechend hohen Rang gegenüber Eingriffen zuweist, die ihn gegen seinen Willen für die Öffentlichkeit "verfügbar" machen. In diesem Punkt stimmt die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs mit der des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesarbeitsgerichts überein. Demgegenüber räumt der Bundesgerichtshof dem Fernmeldegeheimnis offenbar einen wesentlich geringeren Stellenwert ein als das Bundesverfassungsgericht. Dieses hatte in seinem Fangschaltungsbeschluß 25 festgestellt, daß zwar jeder Fernsprechteilnehmer ohne Grundrechtsverstoß Dritte von seinen Telefongesprächen nach deren Beendigung unterrichten könne, jedoch nicht mit Wirkung für den anderen Gesprächsteilnehmer gegenüber der Telekom oder anderen staatlichen Stellen auf die Wahrung des Fernmeldegeheimnisses verzichten könne. Vielmehr sei jede staatliche Einschaltung, die nicht im Einverständnis mit beiden Kommunikationspartnern erfolge, ein Grundrechtseingriff. Demgegenüber hat der Bundesgerichtshof in einer neueren Entscheidung die Einrichtung einer "Hörfalle", also das Mithören eines Telefongesprächs durch einen Polizeibeamten im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens über einen Zweithörer (Hörmuschel) dann für rechtmäßig gehalten, wenn der Benutzer des Anschlusses, an dem dieser Zweithörer angebracht ist, ihm das gestattet hat; dies gelte auch dann, wenn der Polizist das Gespräch ohne Wissen des anderen Teilnehmers mithöre 26. Im konkreten Fall hatte die Polizei eine Zeugin gebeten, einen Tatverdächtigen anzurufen und das Mithören über einen Zweithörer durch einen Polizeibeamten zu gestatten. Eine richterliche oder staatsanwaltliche Anordnung wurde nicht eingeholt. Der Angerufene räumte bei diesem Gespräch gegenüber der Zeugin seine Beteiligung an einer Straftat ein und wurde anschließend aufgrund der Aussage des mithörenden Polizeibeamten verurteilt. Der Bundesgerichtshof vertrat die Auffassung, durch das Vorgehen der Polizei sei nicht in das Fernmeldegeheimnis des Angerufenen eingegriffen worden, da die Anruferin dem Polizeibeamten ebenso wie jeder Privatperson das Mithören gestatten durfte. Auch eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts sei nicht gegeben, da angesichts der Entwicklung im Fernsprechbereich jeder, der sich eines Fernsprechers bedient, damit rechnen müsse, daß privaten Telefonanschlüssen Mithörgeräte angeschlossen sind und benutzt werden; darauf, daß dies unterbleibt, dürfe er grundsätzlich auch dann nicht vertrauen, wenn er von seinem Gesprächspartner keinen Hinweis auf den Anschluß eines solchen Geräts erhält. Dies gilt auch für die Benutzung der inzwischen weit verbreiteten Lautsprecher, die in dem Telefonapparat integriert sind und die Stimme des Gesprächspartners für alle im Raum anwesenden Personen hörbar machen. Diese Entscheidung des Bundesgerichtshofs droht, die engen Voraussetzungen der Strafprozeßordnung für das Abhören von Telefongesprächen und den Einsatz von V-Personen obsolet zu machen. Auch zwingt sie den einzelnen Fernsprechteilnehmer - selbst wenn nicht gegen ihn wegen des Verdachts einer Straftat ermittelt wird - dazu, gravierende Einschränkungen der Vertraulichkeit seiner Telefonate schon deshalb hinzunehmen, weil die Technik heute problemlos das Mithören von Telefongesprächen mit Hilfe von Zusatzlautsprechern und anderen Mithöreinrichtungen gestattet. Die Sozialämter gehen immer mehr dazu über, den Hilfeempfängern die Sozialhilfe bargeldlos auszuzahlen, also auf ein Girokonto bei der Bank zu überweisen. Sieht man einmal von den Schwierigkeiten ab, in die der Hilfeempfänger durch die noch immer vorherrschende Praxis der Banken gerät, kein Girokonto ausschließlich auf Guthabenbasis zu eröffnen und statt dessen auf der Einholung einer Schufa-Auskunft zu bestehen, gewinnt ein anderes Problem an Bedeutung, das uns in der Vergangenheit bereits beschäftigt hat: Darf das Sozialamt (gleiches gilt für das Arbeitsamt oder die Krankenkasse) auf dem Überweisungsträger gegenüber dem Kreditinstitut den Zahlungsgrund "Sozialleistung" angeben? Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Frage jetzt verneint 27. Die Angabe des Zahlungsgrundes in dieser Form sei eine nicht erforderliche und deshalb unzulässige Offenbarung eines Sozialdatums. Auch wenn der Hilfeempfänger ohne diese Angabe möglicherweise Gefahr laufe, daß der überwiesene Betrag von einem Gläubiger gepfändet werde, müsse es ihm überlassen bleiben, sich zwischen Pfändungsschutz und Sozialdatenschutz zu entscheiden. Er könne - wenn er eine Kontenpfändung von vornherein ausschließen wolle - in die Angabe des Zahlungsgrundes "Sozialleistung" einwilligen. Solange er dies nicht tue, dürfe als Zahlungsgrund kein Hinweis auf eine Sozialleistung gegeben werden. Selbst dann wäre das Kreditinstitut, das aus dem nicht ausdrücklich als Sozialleistung bezeichnetem Betrag Zahlungen an einen Gläubiger des Hilfeempfängers leistet, diesem gegenüber nochmals zur Zahlung verpflichtet. Immer wieder wird uns von Bürgern und Behörden die Frage gestellt, in welchem Umfang sich Personen auf den Datenschutz berufen können, die der Verwaltung Hinweise auf das (vermeintlich) strafbare oder ordnungswidrige Verhalten anderer Personen geben. Mit dieser Frage hat sich im Berichtszeitraum auch der Bundesfinanzhof beschäftigt 28. Seine Entscheidung hat nicht nur Bedeutung für das Steuerrecht, sondern auch für andere Bereiche. Der Bundesfinanzhof stellt zunächst klar, daß auch der Name des Informanten/Denunzianten dem Steuergeheimnis unterliegt. Zudem hätten auch Informanten einen Anspruch auf den Schutz ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Allerdings seien die Finanzbehörden verpflichtet, in einem Strafverfahren wegen falscher Verdächtigung oder Beleidigung den Namen des Informanten gegenüber den Strafverfolgungsbehörden zu offenbaren, wenn durch dessen Handlung das allgemeine Persönlichkeitsrecht des von der Anzeige Betroffenen verletzt werde. Wer zu Unrecht strafrechtlichen Ermittlungstätigkeiten ausgesetzt werde, könne ein berechtigtes Interesse daran haben, den Namen des Informationsgebers zu erfahren. Hat der Informant falsche Angaben gemacht, so muß er mit einem Strafverfahren wegen falscher Verdächtigung, Beleidigung oder übler Nachrede rechnen. Außerhalb des Steuerrechts können sich Auskunftsansprüche des Betroffenen, über den der Informant Angaben gemacht hat, aus dem Datenschutzrecht oder dem Verfahrensrecht ergeben. Das Bundesarbeitsgericht hat sich zu einer Frage geäußert, die auch im Bereich der Berliner Verwaltung entstehen kann: Unter welchen Voraussetzungen kann ein Betriebs- oder Personalrat der beabsichtigten Versetzung eines Beschäftigten auf einen Arbeitsplatz als betrieblicher oder behördlicher Datenschutzbeauftragter die Zustimmung verweigern? Das Bundesarbeitsgericht hatte diese Frage auf der Grundlage des Betriebsverfassungsgesetzes für die Privatwirtschaft zu klären, seine Festlegungen haben jedoch auch für den öffentlichen Bereich Gültigkeit. Danach kann der Betriebsrat seine Zustimmung mit der Begründung verweigern, der Beschäftigte besitze nicht die nach dem Bundesdatenschutzgesetz vorausgesetzte Fachkunde und Zuverlässigkeit 29. Bedenken gegen die Zuverlässigkeit können sich daraus ergeben, daß der Arbeitnehmer neben seiner Aufgabe als Datenschutzbeauftragter Tätigkeiten ausübt, die mit seiner Kontrollfunktion unvereinbar sind, weil sie den Arbeitnehmer in einen Interessenkonflikt geraten lassen. Zur Vermeidung solcher Interessenkonflikte haben wir in der Vergangenheit Empfehlungen ausgesprochen 30. Mit der Zulässigkeit von verdeckten Aidstests bei der Einstellung von Bediensteten der Europäischen Kommission hat sich der Europäische Gerichtshof auseinandergesetzt 31. Dabei hat der Gerichtshof seine Auffassung unterstrichen, daß das in Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention verankerte Recht auf Achtung des Privatlebens, das sich aus den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten herleitet, ein von der Gemeinschaftsrechtsordnung geschütztes Grundrecht darstellt. Dieses umfaßt insbesondere das Recht einer Person, ihren Gesundheitszustand geheim zu halten. Im konkreten Fall hatte ein Bewerber um eine befristete Anstellung bei der Kommission es ausdrücklich abgelehnt, sich einem HIV-Test zu unterziehen. Daraufhin waren ohne sein Wissen Blutuntersuchungen vorgenommen worden, zu Ergebnisse indirekt den Verdacht einer Aids-Erkrankung nahelegten. Dieses Vorgehen hat der Europäische Gerichtshof als unzulässig bezeichnet. Allerdings seien die Gemeinschaftsorgane nicht zur Einstellung des Betroffenen verpflichtet, wenn dieser nach einer entsprechenden Aufklärung seine Zustimmung zu einer vom Arzt für erforderlich gehaltenen Untersuchung verweigere. Die Entscheidung betraf formal zwar lediglich die Einstellungspraxis der Europäischen Kommission, sie hat aber auch Auswirkungen auf die Praxis der Dienstbehörden in den Mitgliedstaaten, soweit diese in vergleichbarer Weise verfahren. Das Europäische Datenschutzrecht kommt langsam voranDie Bemühungen zur Formulierung eines einheitlichen europäischen Mindeststandards im Datenschutzrecht sind insofern ein gutes Stück vorangekommen, als der Rat der Europäischen Union am 22. Dezember 1994 eine politische Einigung im Hinblick auf die Festlegung eines Gemeinsamen Standpunktes zum Entwurf der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr 32 erzielt hat. Der Richtlinienentwurf enthält in einer Reihe von Punkten auch Verbesserungen gegenüber dem geltenden deutschen Datenschutzrecht. So wird die Datenerhebung auch im privaten Bereich den Datenschutzregelungen unterworfen, was bisher nach dem Bundesdatenschutzgesetz nicht der Fall ist. Besonders sensible Daten, etwa über rassische oder ethnische Herkunft, politische Meinungen, religiöse oder philosophische Überzeugungen, Gewerkschaftszugehörigkeit sowie Gesundheit oder Sexualleben genießen einen besonderen, über das deutsche Datenschutzrecht hinausgehenden Schutz vor Nutzung oder Weitergabe. Die Rechte der Betroffenen werden erweitert; sie sind regelmäßig über Speicherung oder Weitergabe ihrer Daten zu unterrichten. In bestimmten Fällen erhalten sie ein Widerspruchsrecht gegen die Verarbeitung ihrer Daten. Für die Datenverarbeitung werden neuartige Qualitätsanforderungen formuliert, die das bisher nur im englischen Datenschutzrecht vorhandene Prinzip der "fairen Datenverarbeitung" deutlicher als bisher zum Ausdruck bringen. Schließlich muß die Unabhängigkeit der Aufsichtsbehörde für den privaten Bereich sichergestellt werden. Sobald die Datenschutzrichtlinie endgültig beschlossen worden ist, wird auch der Berliner Gesetzgeber zu prüfen haben, inwieweit das Berliner Datenschutzgesetz den europäischen Vorgaben angepaßt werden muß. Von der Erweiterung der Europäischen Union um die drei Länder Österreich, Finnland und Schweden sind Impulse für die Weiterentwicklung eines europäischen Informationsrechts zu erwarten. Bemerkenswert ist vor allem, daß die schwedische Regierung ihre Beitrittserklärung mit einem Vorbehalt versehen hat, wonach sie die weitgehenden Informationszugangsrechte für die Bürger Schwedens auch nach dem Beitritt zur Union nicht einschränken werde. Umgekehrt ist zu hoffen, daß durch die Erweiterung der Union auch die Bemühungen um eine größere Transparenz der Entscheidungen in den europäischen Gremien 33 unterstützt werden und daß darüber hinaus auch in Deutschland frühere Vorschläge für eine allgemeine Informationsfreiheitsgesetzgebung wieder aufgegriffen werden.
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Zuletzt geändert:
am 08.02.97