|
Eröffnungsansprache zum Symposium "Multimedia und Datenschutz" beim
Internationalen Mediendialog 28. August 1995 in Berlin
Hansjürgen Garstka
Berliner Datenschutzbeauftragter
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich begrüße Sie sehr herzlich bei unserem Symposium zu Fragen
des Datenschutzes, das seit vielen Jahren parallel zur Internationalen
Funkausstellung stattfindet. Besonders begrüße ich wieder die
Mitglieder des Internationalen Arbeitskreises Telekommunikation und Medien,
der im Rahmen der Internationalen Konferenz der Datenschutzbeauftragten
gegründet worden ist und alle zwei Jahre die Gelegenheit nutzt, sich
auf unserer Berliner Ausstellung über die neuesten Entwicklungen auf
seinem Arbeitsgebiet zu informieren.
Unser diesjähriges Symposium befaßt sich mit Datenschutzproblemen
bei Multimedia, dem großen Thema dieser Funkausstellung. Dieses Thema
ist für die Arbeit in unserem Arbeitskreis in gewisser Weise
denkwürdig: Die ersten Probleme, mit denen man sich befaßte, betrafen
die Risiken, die möglicherweise mit den ersten Versuchen einer Integration
der herkömmlichen elektronischen Medien entstehen würden: der
Integration von Telefon und Fernsehen, später auch dem PC bei
Videotext-Diensten, die in Deutschland unter dem Namen "Bildschirmtext" angeboten
wurden (und nicht unbedingt eine immer glückliche Entwicklung nahmen),
oder ersten Experimenten mit einem Rückkanal beim Fernsehen, dessen
Verkabelung die technische Voraussetzung für eine stürmische
Entwicklung zunächst der Programmvielfalt, nunmehr der Einführung
interaktiver Angebote wurde (wenn man sich deren Entwicklung auch viel schneller
vorgestellt hatte).
Nicht ahnen können hatte man damals anfang der 80er Jahre, in welchem
Maße die Entwicklung der Computertechnologie sowie der
Telekommunikationsnetzwerke zu einer kaum vorstellbaren Ausdehnung der
individuellen Erreichbarkeit auf Grund der PC-Technologie, der Variabilität
der einbeziehbaren Informationsarten auf Grund der Digitaltechnik, der
Ubiquität auf der Grundlage des zunächst im Wissenschafts- und
Forschungsbereichs aufgebauten Computerverbundes, der den Namen des ihm
zugrundeliegenden Kommunikationsprotokolls "Internet" trägt, führen
sollte.
Das Ergebnis dieser Entwicklung ist eine Situation, die sich grob wie folgt
charakterisieren läßt:
|
|
|
-
Verschiedenen Formen der Darstellung von Information sind nicht mehr verschiedene
Informationstechniken gewidmet: Datenverarbeitung, Telekommunikation und
Rundfunk sind keine kategorisch voneinander getrennten, technisch und rechtlich
inkommensurablen Größen mehr, sie fließen ineinander und
stellen sich dem Nutzer nur noch als verschiedene Funktionen einer einheitlichen
Informationssphäre dar, die mit einheitlichen Mitteln empfangbar, aber
auch manipulierbar sind.
-
Medien, die traditionellerweise nur monodirektional ausgerichtet sind,
ermöglichen dem Nutzer künftig, in das Geschehen einzugreifen,
sei es durch Teilnahme an der Kommunikation (black boards, news groups),
sei es durch Beeinflussung des kommunikativen (Programmauswahl) oder
nichtkommunikativen (Fernwirkdienste) Geschehens. Dies betrifft nicht nur
die Einführung der Interaktivität in die klassischen Medien Rundfunk
und Fernsehen, sondern auch die Mobilisierung bislang ebenfalls einseitig
ausgerichteter Lebensbereiche, etwa beim Lernen, beim Spielen oder in der
Politik - Teledemokratie ist eine Vokabel, die früher belächelt,
heute ernsthaft diskutiert wird.
-
Durch die weltweite Vernetzung werden Informationen in jeder Darstellungsform,
in jeder beliebigen Menge und ohne Zeitverzug von überall her
verfügbar, soweit sie nur dem globalen Netz zur Verfügung gestellt
werden. Technische und rechtliche Schranken relativieren sich, ja werden
bedeutungslos: Ein einziger Nutzer von Internet genügt, um den
Paßwortschutz eines sensitiven Verfahrens global außer Kraft
zu setzen, ein einziger Datenlieferant genügt, um ein urheberrechtlich
geschütztes Werk jedermann entgeltlos verfügbar zu machen.
-
Noch gravierender könnten künftig die Risiken sein, die die
Verknüpfung von Hochleistungscomputern mit den Datenbeständen mit
sich bringt: Insbesondere die großen Bildverarbeitungskapazitäten
ermöglichen in zunehmendem Maße die unerkannte Manipulation der
Informationen. Zunehmend wird sich Echtes von Gefälschtem nicht mehr
unterscheiden lassen: Tatsächliche und virtuelle Welten verschmelzen.
Die Konsequenzen für die Verarbeitung personenbezogener Daten und damit
für die Gewährleistung des Datenschutzes, oder wie wir es aufgrund
der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Deutschland bezeichnen,
der informationellen Selbstbestimmung, sind gravierend.
Die vordergründige Ursache hierfür ist der Umstand, daß
Voraussetzung für die neuen Formen der Kommunikation, die Dienste und
Dienstleistungen die Verarbeitung von Daten in einem zuvor nicht erforderlichen
Umfang ist; diese Daten, die zunehmend nicht mehr endgerätebezogen sind
(und damit zwar personenbezogen, aber eben nur mittelbar), sondern unmittelbar
personenbezogen (die Einführung einer individuellen, weltweit gleichen
Identifikationsnummer steht nicht nur beim mobilen Telefon, sondern auch
bei leitungsgebundenen Diensten bevor) werden sowohl für den Aufbau
der Verbindung (die, denken wir an Telespiele wie Fernschach, gegebenenfalls
intermettierend über große Zeiträume aufrechterhalten werden
muß) als auch für die Abrechnung der entstandenen Entgelte
benötigt - auch in Bereichen, deren Nutzung, wie bei Rundfunk und Fernsehen,
bisher anonym erfolgen konnte.
Im Ergebnis entstehen gigantische Datensammlungen, die dem berechtigten,
aber auch dem unberechtigten Nutzer erlauben, die Kommunikations-, aber auch
Konsum- und sonstigen Verhaltensgewohnheiten der Teilnehmer zu beobachten
und entsprechende Persönlichkeitsprofile zu gewinnen. Dies gilt auch
für diejenigen Netzteilnehmer, die am eigentlichen Kommunikationsgeschehen
nicht beteiligt sind, sondern nur durch ihre Dienstleistungen die Kommunikation
ermöglichen - etwa die Vielzahl der Betreiber von Netzknotenrechnern
im Internet, die jeden durchlaufenden Telekommunikationsverkehr verfolgen
oder zumindest verfolgen können.
Auch die Risiken, die mit der Übermittlung der Inhalte selbst verbunden
sind, erhöhen sich erheblich: Die Einbeziehung von Bild und Ton in die
Kommunikationsmöglichkeiten intensiviert die Eingriffsmöglichkeiten
in die Privatsphäre erheblich. Kurze verbale (und damit auch steuerbare)
Darstellungen werden ersetzt durch das Originalbild, den Originalton. Versteckte
Zusatzinformationen, derer sich die Teilnehmer nicht bewußt sind, werden
mitübermittelt, wahrgenommen und gespeichert (denken wir auf die
Aufzeichnungen über Videokonferenzen, die nicht nur dem Psychologen,
sondern jedem Teilnehmer vieles über die Befindlichkeiten der Partner
mitteilen können).Die zunehmende Nutzung der multimedialen Dienste wird
den Zugang zu anonymen Kommunikationsformen erschweren; schon jetzt ist absehbar,
daß die Nutzung von Diensten, bei denen Persönlichkeitsprofile
entstehen, auch finanziell honoriert, anonyme Kommunikation belastet wird.
Es wird erhebliche Anstrengungen kosten, dem entgegenzusteuern.
Diese nur skizzierten Aspekte machen in verschiedener Hinsicht nicht nur
eine Änderung der bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen, sondern
meines Erachtens auch die Entwicklung neuer Paradigmen in der
Datenschutzdiskussion erforderlich.
Vier Punkte, die mir besonders wichtig erscheinen, möchte ich herausgreifen:
-
Die meisten Datenschutzgesetze, die es in den verschiedenen Staaten bisher
gibt, konzentrieren sich auf die herkömmliche Datenverbreitung: die
klassische EDV, mitunter ergänzt um restriktive Regeln bei der manuellen
Verarbeitung von Daten in Dateien (die neue EU-Richtlinie macht hiervon keine
Ausnahme). Es müssen Regelungsformen gefunden werden, die auch die Bild-
und Tondaten erfassen, ja, die offen sind für künftige Entwicklungen
etwa in der Sensorenforschung. Die herkömmliche Klassifizierung der
Datensensibilität nach Lebensbereichen (Adreßdaten, Personaldaten,
medizinische Daten) muß ergänzt werden zumindest um Aspekte der
Informationstiefe und der Informationsverfügbarkeit.
-
Sektorell bestehende Privilegierungen oder aber auch Erschwernisse müssen
darauf hin geprüft werden, ob sie noch Sinn haben oder zumindest modifiziert
werden müssen; zum ersten Aspekt gehört die Reichweite des sogenannten
Medienprivilegs, das die journalistischen Daten von datenschutzrechtlichen
Verpflichtungen nahezu freistellt; zum zweiten gehört die Frage, ob
das im deutschen (nicht z. B. im schweizerischen) Recht verankerte Verbotsprinzip
in dieser generellen, ohnehin nur theoretisch effektiven Form weiterbestehen
kann. Auf dem Gebiet der Telekommunikation sehr kennzeichnend ist in dieser
Hinsicht die aktuelle Diskussion in den USA, ob die unterschiedliche Behandlung
von Telefon und Kabelfernsehen auch in datenschutz-rechtlicher Sicht sinnvoll
ist.
-
Die Sicherung der Vertraulichkeit der übermittelten Informationen, vor
allem aber der Schutz vor Manipulation wird die Entwicklung geeigneter
Authentifikations-, Verschlüsselungs- und Verifikationsinstrumente zu
einer vordringlichen technischen Aufgaben werden lassen.
-
Schließlich: Die neuen Techniken erfordern eine Modifikation der
Kontrollmechanismen. Sie sind in Deutschland im privaten Bereich
bekanntermaßen unterentwickelt; die EU-Richtlinie wird hier Verbesserungen
etwa im Bereich der Vollzugsmaßnahmen bringen - dies wird aber eine
grundsätzliche Diskussion nicht überflüssig machen. Ganz
wesentlich wird hier sein, wie der internationale Aspekt von Multimedia auf
die Kontrollinstrumente abgebildet werden kann.
Meine Damen und Herren,
mit dieser Skizze wollte ich einen kleinen Einblick geben in die Vielfalt
der Probleme, mit denen uns unser heutiger Tag konfrontieren wird.
Ich erhoffe für uns alle einen guten Ertrag für die Meisterung
der bevorstehenden Probleme bei Multimedia und Datenschutz.
|