3. Forschungsklauseln3.1 Erläuterungen am Beispiel der Forschungsklausel des § 30 des Berliner DatenschutzgesetzesAm Beispiel der Forschungsklausel nach § 30 Berliner Datenschutzgesetz soll der grundsätzliche Umgang mit derartigen Regelungen dargelegt werden (s. Gesetzesauszüge im Anhang). Ausgangspunkt muß hierbei die Feststellung sein, daß den schutzwürdigen Belangen der Betroffenen erhebliches Gewicht zukommt. Auch hier besteht das grundsätzliche Nutzungsverbot mit Erlaubnisvorbehalt. Dieses grundsätzliche Nutzungsverbot würde unterlaufen, wenn jede Forschung in einem beliebigen wirtschaftlichen oder sozialen Kontext das Verbot außer Kraft setzen würde. "Wissenschaftlich" in der Forschungsklausel ist nur eine rein wissenschaftliche Tätigkeit, die nicht wirtschaftlichen oder sonstigen nichtwissenschaftlichen Interessen untergeordnet ist. Voraussetzung ist die Unabhängigkeit des Forschers bzw. der Forschungseinrichtung. Hinsichtlich der konkreten Tätigkeit, für welche die Daten genutzt werden sollen, darf keine Weisungsabhängigkeit bestehen. Wissenschaftlich tätig ist damit - neben den Hochschulen - auch eine Reihe weiterer unabhängiger wissenschaftlicher Einrichtungen (z. B. Max-Planck-Gesellschaft). Auch privatrechtlich konstituierte Forschungseinrichtungen (z. B. Stiftungen) können diese Voraussetzungen erfüllen. Unternehmensforschung hingegen dient nicht wissenschaftlichen Zwecken im o. g. Sinne. Dies gilt auch für unabhängige Forschungseinrichtungen, die im Auftrag von Wirtschaftsunternehmen tätig werden. Des weiteren ist erforderlich, daß die Nutzung dieser personenbezogenen Daten zu wissenschaftlichen Zwecken unerläßlich ist. Stets ist zu prüfen, ob die personenbezogenen Daten auch durch anonymisierte Daten ersetzt werden können bzw. ob Kombinationsformen (s. nachfolgenden Abschnitt) angewandt werden können. Das schließt die Prüfung ein, ob nicht - zumindest bei einzelnen Teilaufgaben - mit anonymisierten Daten gearbeitet werden kann. Zu den einzelnen, sich aus § 30 BlnDSG - Datenverarbeitung für wissenschaftliche Zwecke - ergebenden Anforderungen an die Verarbeitung personenbezogener Daten zum Zwecke wissenschaftlicher Forschung: Mit § 30 BlnDSG wird die Ausnahme geregelt, d. h., grundsätzlich sind personenbezogene Daten auch zu wissenschaftlichen Zwecken von der Einwilligung des Betroffenen nach § 6 BlnDSG abhängig. Nach § 30 BlnDSG ist es zulässig, ohne die Einwilligung des Betroffenen für bestimmte Forschungsarbeiten Daten zu übermitteln, wenn
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a) schutzwürdige Belange der Betroffenen nicht beeinträchtigt werden.
Das kann der Fall sein wegen:
Es läßt sich jedoch feststellen, daß diese Fälle nur seltene Ausnahmefälle in der wissenschaftlichen Forschung sein werden, da wissenschaftliche Forschungsvorhaben in der Mehrzahl tiefgreifende und differenzierte personenbezogene Angaben voraussetzen, die im Regelfall mit der Einwilligung des Betroffenen erhoben werden sollen. Überwiegend handelt es sich also um klare Eingriffe in das informationelle Selbstbestimmungsrecht. b) das öffentliche Interesse an der Durchführung des Forschungsvorhabens die schutzwürdigen Belange des Betroffenen erheblich überwiegt und der Zweck der Forschung nicht auf andere Weise erreicht werden kann. Eine Voraussetzung ist damit, daß das öffentliche Interesse das Geheimhaltungsinteresse des Betroffenen erheblich über wiegt. Ein einfaches wissenschaftliches Interesse an der Durchführung eines Forschungsvorhabens kann damit gegenüber dem allgemeinen, nicht näher begründeten Geheimhaltungsinteresse eines jeden Betroffenen keinen Vorrang haben. Das Ergebnis der notwendigen Abwägung ist damit offen. Das Forschungsinteresse muß vielmehr erheblich überwiegen. Dies ist nur dann der Fall, wenn an der Durchführung des Forschungsvorhabens ein öffentliches Interesse besteht, indem zuvor durch die zuständige Landesbehörde oder durch eine von dieser bestimmten Stelle zugestimmt wurde. Bei sensibleren Daten muß dem Geheimhaltungsinteresse ein überragendes Gemeinschaftsinteresse gegenüberstehen, um eine Verarbeitung ohne Einwilligung des Betroffenen zu rechtfertigen. Bei Prüfungsarbeiten (auch Dissertationen) liegt in der Regel kein überwiegendes, geschweige denn ein erheblich überwiegendes wissenschaftliches Interesse, das als öffentliches Interesse gefaßt werden kann, vor. Im Mittelpunkt der Abwägung muß die Prüfung der Zumutbarkeit des Eingriffs stehen. Ohne Einwilligung generell unzumutbar ist das Erstellen von Persönlichkeitsbildern, die Verarbeitung intimer Angaben und Selbstbezichtigungen sowie von Daten, die die Gefahr einer sozialen Abstempelung in sich bergen. Der Hinweis des Gesetzgebers "und wenn der Zweck der Forschung nicht auf andere Weise erreicht werden kann" ist eine Ausnahmeregelung, die ausschließt, eine Erhebung ohne Einwilligung des Betroffenen durchzuführen, wenn lediglich zu befürchten steht, daß die Einwilligung verweigert wird. Auch die reine Möglichkeit, daß die Forschung durch das Verhalten des Betroffenen gestört oder gefährdet wird, ist kein Grund, seine Beteiligung zu umgehen. Es muß unmöglich sein, die Einwilligung einzuholen. Dies wäre der Fall, wenn beispielsweise der Aufenthaltsort unter Nutzung aller zugänglichen Quellen nicht in Erfahrung gebracht werden kann. Die Kontaktaufnahme mit dem Betroffenen muß also durch tatsächliche Umstände ausgeschlossen sein. Aber auch hier ist ein erheblich überwiegen des öffentliches Interesse an der Forschung nachzuweisen. Dies ist gegenüber der genehmigenden obersten Landesbehörde darzulegen und durch diese zu prüfen (s. u.). Die Zustimmung der obersten Landesbehörde muß eindeutig bezeichnen:
Diese Zustimmung ist dem Berliner Datenschutzbeauftragten mitzuteilen. In der Praxis der vergangenen Jahre hat es sich als günstig für Forschungsvorhaben erwiesen, wenn sich Forscher im Vorfeld einer beantragten Zustimmung durch die oberste Landesbehörde mit dem Berliner Datenschutzbeauftragten in Verbindung setzen und sich von diesem beraten lassen. § 30 Abs. 1 BlnDSG schließt jedoch keine Verpflichtung der öffentlichen Stelle zur Datenübermittlung ein; diese steht vielmehr im pflichtgemäßen Ermessen dieser Stelle. Auch die Zustimmung der obersten Landesbehörde zur Übermittlung zieht nicht zwingend die Datenübermittlung zum Zwecke wissenschaftlicher Forschung nach sich. Folgende Grundsätze sollten - vor Zustimmung einer obersten Landesbehörde - geprüft werden:
durch das Einholen der Einwilligung der Forschungszweck gefährdet wird; d. h., im Fall der Einholung ist unbedingt mit einer Verweigerung zu rechnen, weil dem Betroffenen die Ergebnisse der Forschung (etwa über seine Beteiligung an Ereignissen der Zeitgeschichte) unangenehm sein könnten. Der Ausnahmetatbestand des § 30 BlnDSG rechtfertigt es jedoch nicht, stets dann von der Einholung der Einwilligung abzusehen, wenn es schwierig wird, eine informierte Einwilligung des Betroffenen zu erreichen, oder wenn dadurch erheblicher Verwaltungsaufwand entstehen würde. Beispielsweise kann ein so schwerwiegender Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht, wie es § 30 BlnDSG als Ausnahme zuläßt, nicht mit anfallenden Portokosten bei einem Adressmittlungsverfahren begründet werden. Vor allem ist zu prüfen, ob der Forschungszweck nicht auf andere Weise erreicht werden kann. Der rechtsstaatliche Grundsatz des Vertrauensschutzes verbietet es, § 30 Abs. 1 BlnDSG anzuwenden und Daten ohne Einwilligung zu verarbeiten, wenn der Betroffene zuvor nach § 6 Abs. 2 BlnDSG die Einwilligung verweigert hat. Unterliegen Daten einem besonderen Amtsgeheimnis, so kann ihre Verarbeitung nicht auf § 30 BlnDSG gestützt werden. Hier sind nur die entsprechenden speziellen Rechtsvorschriften in Anwendung zu bringen, wie für Sozialdaten das Sozialgesetzbuch (SGB X), für statistische Daten das Bundes- und das Landesstatistikgesetz. Für den Bereich der medizinischen Forschung ist die ärztliche Schweigepflicht zu beachten, die dem § 30 BlnDSG vorgeht. Zum Zwecke der wissenschaftlichen Forschung dürfen der Schweigepflicht unterliegende Tatsachen und Befunde nur so weit mitgeteilt werden, als dabei die Anonymität des Patienten gesichert ist oder dieser ausdrücklich zustimmt. Für andere Berufsgeheimnisse gilt Entsprechendes. Nach § 30 Abs. 3 BlnDSG unterliegen die ohne Zustimmung des Betroffenen übermittelten Daten einer strikten Zweckbindung. Der Empfänger darf sie nur für das bestimmte Forschungsvorhaben verwenden (vgl. auch § 28 Abs. 4 Meldegesetz). Für die einem besonderen Amtsgeheimnis unterliegenden Daten ist die Zweckbindung in § 78 Satz 1 SGB X und § 16 Abs. 3 Satz 1 Bundesstatistikgesetz festgelegt. § 30 Abs. 2 BlnDSG verpflichtet die Stellen, die zu wissenschaftlichen Zwecken personenbezogene Daten verarbeiten, zu einer möglichst frühen Anonymisierung. Die Daten sind so bald wie möglich derart zu verändern, daß ein Bezug auf eine bestimmte Person nicht mehr erkennbar ist. Merkmale, mit denen dieser Bezug wiederhergestellt werden kann, sind gesondert zu speichern (Trennungsgebot). Sie sind zu löschen, sobald der Forschungszweck dies gestattet, spätestens jedoch, sobald der Forschungszweck erreicht ist. § 30 Abs. 4 BlnDSG macht eine Übermittlung an Stellen außerhalb des Anwendungsbereichs des BlnDSG (öffentliche Stellen des Bundes oder eines anderen Bundeslandes sowie nichtöffentliche Stellen und Personen) möglich, aber auch von zusätzlichen Voraussetzungen abhängig. Sie ist nur zulässig, wenn sich der Empfänger verpflichtet, die Zweckbindung sowie das Anonymisierungs-, Trennungs- und Löschungsgebot zu beachten und sich der Kontrolle des Berliner Datenschutzbeauftragten zu unterwerfen. § 30 Abs. 5 BlnDSG regelt die Veröffentlichung personenbezogener Daten durch wissenschaftliche Forschung betreibende öffentliche Stellen. Sie ist nur zulässig, wenn entweder der Betroffene eingewilligt hat oder dieses für die Darstellung von Forschungsergebnissen über Ereignisse der Zeitgeschichte unerläßlich ist. Diese Vorschrift verbietet jede anderweitige Veröffentlichung personenbezogener Daten und schließt damit eine Veröffentlichung auf der Grundlage der Übermittlungsbefugnis nach§ 30 Abs. 1 BlnDSG aus. Mit § 30 Abs. 5 BlnDSG ist eine gesetzliche Grundlage für die Veröffentlichung personenbezogener wissenschaftlicher Forschungsergebnisse über Ereignisse der Zeitgeschichte ohne Einwilligung des Betroffenen gegeben. Angesichts der deutschen Vergangenheit ist eine öffentliche Aufarbeitung derartiger Ereignisse - auch gegen den Willen der handelnden Personen - geboten. Die erforderlichen Eingriffe in deren informationelles Selbstbestimmungsrecht sind allerdings nur insoweit gerechtfertigt, als die personenbezogene Veröffentlichung für die Darstellung von zeitgeschichtlichen Forschungsergebnissen unerläßlich ist. Dagegen gebietet der verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, ein mögliches Geheimhaltungsinteresse von Opfern und Benachteiligten zu beachten und insoweit personenbezogene Daten nur mit Einwilligung der Betroffenen zu veröffentlichen. Inwieweit eine Person als eine Person der Zeitgeschichte gilt, ist durch ihren eigenen Anteil an der öffentlichen Bedeutung des Ereignisses zu beurteilen. Die Veröffentlichung muß aber in jedem Fall unerläßlich für die Darstellung des Ereignisses sein. Werden z. B. typische Lebenswege oder Fälle geschildert, so ist eine anonymisierte Darstellung geboten. Anders ist es, wenn ohne die Nennung der konkreten Person das Forschungsergebnis nicht mehr verständlich ist. Mit § 30 Abs. 6 BlnDSG wird es Personen, die innerhalb einer öffentlichen Stelle aufgrund ihrer Zuständigkeiten Zugriff auf den jeweiligen Datenbestand haben, erlaubt, personenbezogene Daten ohne Einwilligung für Forschungszwecke zu verarbeiten (interne Forschung, Eigenforschung). Damit wird den öffentlichen Stellen die Nutzung interner Quellen zu Forschungszwecken - jedoch nur durch Personen, die aufgrund ihrer Zuständigkeit für die Aufgabenstellung, zu der die Daten erhoben worden sind, ohnehin Zugriff auf die Daten haben - ermöglicht. Die Belastung der Betroffenen ist in diesem Falle geringer, weil ein Geheimhaltungsinteresse nicht berührt ist. Damit wurde es für vertretbar gehalten, die mit der Verwendung der Daten für Forschungszwecke verbundene Zweckänderung auch ohne Einwilligung des Betroffenen zuzulassen. Die Datenverarbeitung zur internen Forschung ist zulässig, wenn die Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 BlnDSG vorliegen, d. h., der Forschungszweck darf nicht auf eine andere Weise - also ohne personenbezogene Daten - erreicht werden können. Auch hier ist eine Interessenabwägung erforderlich, gleichwohl ein Geheimhaltungsinteresse nicht berührt wird. Es bleibt also das Interesse des Betroffenen, an der Selbstbestimmung über die Zweckänderung der Daten gegenüber dem Interesse an der Durchführung des Forschungsvorhabens abzuwägen. Das öffentliche Interesse an der Durchführung des Forschungsvorhabens muß auch hier erheblich überwiegen. An dieser Stelle wäre jedoch eine Korrektur des Textes des BlnDSG durch den Gesetzgeber erforderlich. Der § 30 Abs. 6 kann - soll er Sinn machen - nur auf Abs. 1 Satz 1 bezogen werden. Die Geheimhaltungspflicht, über deren partielle Aufhebung die oberste Landesbehörde entscheidet, entfällt. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß sich der Gesetzgeber in dem Spannungsverhältnis zwischen dem Schutz des Persönlichkeitsrechts und des aus ihm her geleiteten informationellen Selbstbestimmungsrechtes (Artikel 1 Abs. 1 und Artikel 2 Abs. 1 GG) einerseits und der Freiheit der Wissenschaft (Artikel 5 Abs. 3 GG) andererseits für den grundsätzlichen Vorrang des Persönlichkeitsrechts und der Selbstbestimmung des einzelnen entschieden hat. Nach diesem Grundsatz kann die wissenschaftliche Forschung über personenbezogene Daten nur dann verfügen, wenn sie ihr von den Betroffenen zur Verfügung gestellt werden. In vielen Forschungsbereichen wird so verfahren, ohne daß es zu einer ernsthaften Behinderung der Forschung kommt. Es setzt ein Umdenken auch bei Wissenschaftlern voraus, dem informationellen Selbstbestimmungsrecht das ihm gebührende Gewicht beizumessen. Um diesem Spannungsverhältnis gerecht zu werden, hat der Gesetzgeber mit § 30 BlnDSG der Realität Rechnung getragen, daß es nicht in allen Fällen möglich ist, die Einwilligung des Betroffenen einzuholen, zugleich aber das Interesse an der Forschung in Einzelfällen so hoch zu bewerten ist, daß es das Interesse an der Selbstbestimmung überwiegt. Damit wird der Ausnahmecharakter des § 30 BlnDSG deutlich. 4. Kombinationsformen des DatenzugangsDie "klassischen und reinen" Formen des Datenzugangs für den Wissenschaftler sind die Nutzung anonymisierter Daten, mit Einwilligung erhobener Daten und der Datenzugang auf Grundlage einer Forschungsklausel. Die zwingende Verpflichtung zur Wahl des mildesten Mittels, zur Verhaltnismäßigkeits- und Erforderlichkeitsabwägung des Eingriffs läßt nicht selten diese reinen Formen untauglich und unverhältnismäßig werden. Die Suche nach der schwächsten Form des Grundrechtseingriffs führt in der Praxis zu vielen aus der Spezifik des Forschungsvorhabens resultierenden Kombinationen und Mischformen. Sie sind deutlichster Ausdruck der Lösung der Grundrechtskollision auf dem Wege der praktischen Konkordanz (s. Einleitung). 4.1 Das AdressmittlungsverfahrenAus verschiedensten Anlässen treten Privatpersonen, aber auch wissenschaftliche Institutionen beispielsweise an Hochschulen an andere Bildungseinrichtungen, Behörden, Kammern usw. heran und bitten, ihnen Adressen von Absolventen, Betreuten oder Mitgliedern zu überlassen. Dies betrifft u. a. angestrebte wissenschaftliche Studien ebenso wie die Vorbereitung beabsichtigter Absolvententreffen. In diesen Fällen ist, wenn für diesen Bereich keine spezielle gesetzliche Regelung besteht, grundsätzlich nach § 6 Berliner Datenschutzgesetz (BlnDSG) i. V. m. §§ 12 bzw. 13 oder 14 BlnDSG zu verfahren. Ist jedoch vor der Nutzung der Adresse für andere als die ursprünglichen Zwecke der Speicherung keine Einwilligung einholbar - bzw. ist die Nutzung der Adresse gerade die zwingende Voraussetzung für das Einholen der Einwilligung -, so bietet sich zur Lösung des Konfliktes das Adressmittlungsverfahren an. Im Rahmen des Adressmittlungsverfahrens wird es vermieden, daß die Adressen der Betroffenen Dritten zur Kenntnis gelangen. Dieses Verfahren ist datenschutzrechtlich unbedenklich und sichert dem Betroffenen sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung in vollem Umfang. Beim Adressmittlungsverfahren werden beispielsweise den Bildungseinrichtungen frankierte, aber nicht adressierte Briefumschläge sowie das zu versendende Material übergeben. Die Bildungseinrichtung adressiert die Umschläge aufgrund der ihr vorliegenden Adressen und übergibt sie dem Postweg. Natürlich sollte der einzelne angeschriebene Absolvent in dem Begleitschreiben über dieses Verfahren aufgeklärt werden, damit er sichergehen kann, daß seine persönlichen Angaben nicht an Dritte weiter gegeben wurden. Es wäre - aus Gründen der Rationalität - zu empfehlen, im Rahmen der Datenverarbeitungsprojekte derartige Adressenausdrucke vorzusehen, wobei die Ausdrucke zu protokollieren sind. Auch ist es möglich, in bestimmten begründeten Fällen den gleichen Personenkreis ein zweites Mal anzuschreiben, um eine höhere Antwortquote zu erreichen. Werden z. B. Adressen ohne das Adressmittlungsverfahren ausnahmsweise auf der Grundlage von § 30 Abs. 1 BlnDSG für Forschungszwecke ohne Einwilligung der Betroffenen an Forschungseinrichtungen übermittelt, so muß die Forschungseinrichtung dies dem Betroffenen bereits bei der ersten Kontaktaufnahme (z. B. Befragung) mitteilen und erläutern. Je transparenter für den Betroffenen der Umgang des Forschers mit seinen personenbezogenen Daten wird, desto eher wird der Betroffene bereit sein, mit dem Forscher bei der anschließenden Befragung auf freiwilliger Basis zusammenzuarbeiten. 4.2 DatentreuhänderEine weitere Möglichkeit besteht in der Nutzung von Datentreuhändern. Mit Datentreuhändern wird ein Verfahren geschaffen, mit dem für einige Forschungsvorhaben bei der Anonymisierung auftretende Nachteile, die das Vorhaben gefährden, überwunden werden können. Der Datentreuhänder übernimmt die Rolle eines vertrauenswürdigen Dritten zwischen datenbesitzender öffentlicher Stelle, dem Betroffenen und dem Forscher. Mit ihm kann der Schutz der personenbezogenen Daten gewährleistet werden und gleichzeitig der Datenbedarf der Forschung gedeckt werden. Dabei kann der Mehr aufwand für die datenhaltenden Stellen vermieden werden, der sonst bei einer Anonymisierung entsteht. Datentreuhänder sind eigenständige (privat- oder öffentlich-rechtlich organisierte) Personen oder Einrichtungen, die zur Absicherung ihrer Treuhänderfunktion gegenüber Dritten als auch dem Forscher abgeschottet sein müssen. Die beim Datentreuhänder gespeicherten Daten sollten mit einem Beschlagnahmeverbot und einem Zeugnisverweigerungsrecht gegen den Zugriff der Strafverfolgungsbehörden geschützt werden. Dem dient eine Art Notariatsfunktion. Allerdings fehlen bislang gesonderte gesetzliche Regelungen, die die Vertrauenswürdigkeit des Datentreuhänders absichern. Schon jetzt kann der Forschung über die Vertrauenswürdigkeit des Treuhänders der Zugang auch zu sensiblen Daten eröffnet werden. Ob mit Hilfe des Datentreuhänders die Rechte der Betroffenen weniger beeinträchtigt werden, ob also das mildeste Mittel gewählt wurde, muß anhand seiner nachfolgend beschriebenen Funktionen überprüft werden. Folgende Funktionen könnte ein Datentreuhänder übernehmen: a) Die Anonymisierung als Voraussetzung für den Datenzugang Der Datentreuhänder wird zwischen die datenhaltende Stelle und die Forscher gestellt, anonymisiert die personenbezogenen Daten und übermittelt diese den Forschern. Vorteile hat diese Lösung vor allem dann, wenn sich die datenhaltende Stelle nicht in der Lage sieht, die Daten selbst zu anonymisieren. Jedoch ist auch die Übermittlung personenbezogener Daten zu Zwecken der Anonymisierung an den Datentreuhänder ohne Einwilligung des Betroffenen eine Zweckentfremdung und damit ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Gesonderte gesetzliche Regelungen, die eine Übermittlung an Dritte bzw. an einen Datentreuhänder zu Zwecken der Anonymisierung vorsehen, bestehen nicht. Fallen die begehrten Daten unter eine gesetzliche Forschungsklausel, die ein Wissenschaftsprivileg zur Nutzung personenbezogener Daten enthält, so ist die datenhaltende Stelle gehalten, dieses aus Artikel 5 Abs. 3 Grundgesetz abgeleitete Privileg durch geeignete Maßnahmen zu unterstützen und zu fördern. Dies heißt nicht, daß für den Forscher ein Datenzugangsrecht besteht. Für den Staat und damit für öffentliche Stellen besteht lediglich eine Pflicht zur Förderung des Datenzugangs. Daraus läßt sich aber für die datenbesitzende Stelle die Befugnis ableiten, in einer Forschungsklausel die entsprechende Rechtsgrundlage zu sehen, die eine Datenverarbeitung im Auftrag (s. § 3 BlnDSG) durch einen Datentreuhänder rechtfertigen würde. Damit wird aber der Status des Datentreuhänders als vertrauenswürdiger Dritter und selbständige datenverarbeitende Stelle unterlaufen. Eine Datenverarbeitung nach Weisung des Auftraggebers, wie sie die Datenschutzgesetze über die Auftragsverarbeitung vorsehen, steht damit im Widerspruch. Datenhaltende Behörden können aber durch eine Auftragsdatenverarbeitung personenbezogene Daten anonymisieren und diese an Forschungseinrichtungen übermitteln lassen. Der Auftragnehmer ist dann allerdings kein Datentreuhänder im hier verwendeten Sinne. b) Die Verknüpfungsfunktion Ist es erforderlich, Daten aus verschiedenen Quellen unter Nutzung des Personenbezuges miteinander zu verknüpfen, so kann ein Datentreuhänder diese Aufgabe wahrnehmen. Er ordnet die personenbezogenen Daten einander zu, anonymisiert sie und übermittelt die anonymisierten Daten an die Forscher. Unter der Verknüpfungsfunktion ist zu verstehen, daß der Datentreuhänder mehrere unterschiedliche Dateien personenbezogen verknüpft und auswertet oder später neue Daten den Einzeldatensätzen zuordnet. Damit werden Daten zusammengefügt, die z. T. die Möglichkeit, Persönlichkeitsbilder oder -teilbilder zu erstellen, einschließen. Der Datentreuhänder kann die Aufgabe der Verknüpfung und Zuordnung für die Forschungsvorhaben übernehmen und die so entstehenden Persönlichkeits-(teil) bilder nach außen absichern. Eine gesetzliche Grundlage wäre zwar wünschenswert, aber Regelungen, die solche Datenbestände vor staatlichen Zugriffen schützten, bestehen gegenwärtig nicht. Auch in dieser Funktion bedeutet die Übermittlung personenbezogener Daten an den Datentreuhänder einen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen, das einer gesetzlichen Grundlage bedarf, soweit die Betroffenen nicht eingewilligt haben. Auf eine gesetzliche Grundlage kann nur in den Fällen verzichtet werden, in denen der Datentreuhänder die betreffenden Daten "blind" erhält und verknüpfen kann. Das ist der Fall, wenn die beiden datenhaltenden Stellen, deren Daten miteinander verknüpft werden sollen, die Daten nach einem nur ihnen bekannten und gleichlautenden Schlüssel an den Datentreuhänder übermitteln. Der Datentreuhänder kann dann die Daten aufgrund der Verschlüsselung anonymisiert miteinander verknüpfen. Soweit das verschlüsselte Ergebnis ausreichend anonymisiert ist, kann es an eine Forschungseinrichtung übermittelt werden. Angesichts der Problematik von Verknüpfungen und Zuordnungen personenbezogener Daten spricht das besondere Schutzbedürfnis der Betroffenen für den Einsatz von Datentreuhändern. Der Datentreuhänder ist gegenüber einer direkten Übermittlung personenbezogener Daten an die Forschungseinrichtung ein milderes Mittel, weil die Daten nur bei ihm personenbezogen sind. Bei Längsschnittstudien können die Identifizierungsmerkmale beim Datentreuhänder verbleiben, so daß zu späteren Zeitpunkten beim Treuhänder, nicht aber bei der forschenden Stelle erneut personenbezogene Zuordnungen mit neuen Daten vorgenommen werden können. c) Die Funktion der Datenerhaltung, -bereitstellung und -archivierung Der Datentreuhänder hält personenbezogene Datenbestände als Datenbank oder Archiv für weitere Forschungszwecke vorrätig. Der Datentreuhänder kann auch die Funktion der Errichtung und Betreuung von Forschungsregistern, in denen personenbezogene Daten zu Forschungszwecken auf Vorrat gehalten werden, ausüben. Derartige Datensammlungen sind aber gegenüber gesetzlichen Forschungsklauseln kein milderes Mittel. Es macht aus der Sicht des informationellen Selbstbestimmungsrechts keinen Unterschied, ob nun eine bestimmte Stelle oder ein Datentreuhänder durch Gesetz berechtigt wird, ein Forschungsregister zu führen. Außerdem können auf der Grundlage einer Forschungsklausel personenbezogene Daten nur im Einzelfall ohne Einwilligung des Betroffenen übermittelt und verarbeitet werden, während in Forschungsregistern personenbezogene Daten auf Vorrat gehalten werden. Das Grundprinzip des Datentreuhänders beruht darauf, daß er die personenbezogenen Daten eigenständig oder nach Weisung des Forschers verarbeitet und diesem lediglich die anonymisierten Ergebnisse zur Verfügung stellt. Voraussetzung eines funktionsfähigen Datentreuhänders ist vor allem seine Vertrauenswürdigkeit und Unabhängigkeit gegenüber den Beteiligten. Gegenüber dem Betroffenen sowie der datenbesitzenden Behörde muß gewährleistet werden, daß nur der Datentreuhänder den Personenbezug der ihm von der datenhaltenden Stelle übermittelten Daten herstellen kann. Weiterhin müssen die Daten bei ihm zweckgebunden verwendet werden und gegen Mißbrauch sicher sein. Der Forscher wiederum ist darauf angewiesen, daß der Datentreuhänder die von ihm gewünschten Zuordnungen und Auswertungen durchführt. Anmerkungen/1/ BVerfGE, 65, 1 [43] /2/ BVerfGE, 67, 100 [144] /3/ BVerfGE, 30, 173 [194] /4/ BGH, 50, 133 /5/ BVerfGE, 65, 49; 24. 9. 87/NJW 87, 2805 [2807] /6/ BVerfGE, 65, 1 [42] /7/ BVerfGE, 35, 202 [232] Weiterführende Literatur:
In der Schriftenreihe "Materialien zum Datenschutz", unter der auch diese Broschüre erscheint, bietet der Berliner Datenschutzbeauftragte u. a. das "Volkszählungsurteil" vom 15. Dezember 1983 Interessenten kostenlos an (Materialien Heft 1). In der Reihe "Berliner Informationsgesetzbuch" gibt der Berliner Datenschutzbeauftragte Nachdrucke von Datenschutzvorschriften heraus. Einige der in diesem Heft auszugsweise veröffentlichten Gesetze erscheinen in der Reihe als kompletter Abdruck, den Interessierte beim Berliner Datenschutzbeauftragten anfordern können.
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Zuletzt geändert:
am 07.02.97