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§ 3 G 10 lautet:
(1) Außer in den Fällen des § 2 dürfen auf
Antrag des Bundesnachrichtendienstes Beschränkungen nach
§ 1 für internationale nicht leitungsgebundene Fernmeldeverkehrsbeziehungen
angeordnet werden, die der nach § 5 zuständige Bundesminister
mit Zustimmung des Abgeordnetengremiums gemäß §
9 bestimmt. Sie sind nur zulässig zur Sammlung von Nachrichten
über Sachverhalte, deren Kenntnis notwendig ist, um die Gefahr
1. eines bewaffneten Angriffs auf die Bundesrepublik Deutschland.
2. der Begehung internationaler terroristischer Anschläge
in der Bundesrepublik Deutschland,
3. der internationalen Verbreitung von Kriegswaffen im Sinne des
Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen sowie des unerlaubten
Außenwirtschaftsverkehrs mit Waren, Datennverarbeitungsprogramme
und Technologien im Sinne des Teils 1 der Ausfuhrliste (Anlage
AL zur Außenwirtschaftsverordnung) in Fällen von erheblicher
Bedeutung,
4. der unbefugten Verbringung von Betäubungsmitteln in nicht
geringer Menge aus dem Ausland in das Gebiet der Bundesrepublik
Deutschland.
5. im Ausland begangener Geldfälschungen sowie
6. der Geldwäsche im Zusammenhang mit den in den Nummern
3 bis 5 genannten Handlungen
rechtzeitig zu erkennen und einer solchen Gefahr zu begegnen.
In den Fällen der Nummer 1 dürfen Beschränkungen
nach Satz 1 auch für leitungsgebundene Fernmeldeverkehrsbeziehungen
und für Postverkehrsbeziehungen angeordnet werden.
(2) Für Beschränkungen im Sinne des Absatzes 1 darf
der Bundesnachrichtendienst nur Suchbegriffe verwenden, die zur
Aufklärung von Sachverhalten über den in der Anordnung
bezeichneten Gefahrenbereich bestimmt und geeignet sind. Die Suchbegriffe
dürfen keine Identifizierungsmerkmale enthalten, die zu einer
gezielten Erfassung bestimmter Fernmeldeanschlüsse führen.
Satz 2 gilt nicht für Fernmeldeanschlüsse im Ausland,
sofern ausgeschlossen werden kann, daß Anschlüsse
1. deutscher Staatsangehöriger oder
2. von Gesellschaften mit dem Sitz im Ausland, wenn der überwiegende
Teil ihres Vermögens oder ihres Kapitals sowie die tatsächliche
Kontrolle über die Gesellschaft deutschen natürlichen
oder juristischen Personen zusteht und die Mehrheit der Vertretungsberechtigten
deutsche Staatsangehörige sind.
gezielt erfaßt werden. Die Suchbegriffe sind in der Anordnung,
zu benennen. Die Durchführung ist mit technischen Mitteln
zu protokollieren: sie unterliegt der Kontrolle gemäß
§ 9 Abs. 2. Die Protokolldaten dürfen ausschließlich
zu Zwecken der Datenschutzkontrolle verwendet werden. Sie sind
am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr der Protokollierung folgt,
zu löschen.
(3) Bei der Durchführung von Maßnahmen nach Absatz
1 erlangte personenbezogene Daten dürfen nur zur Verhinderung,
Aufklärung oder Verfolgung von Straftaten verwendet werden,
die in § 2 dieses Gesetzes und in § 138 des Strafgesetzbuches
bezeichnet sind, sowie von Straftaten nach den §§ 261
und 264 des Strafgesetzbuches. § 92a des Ausländergesetzes,
§ 34 Abs. 1 bis 6 und 8 und § 35 des Außenwirtschaftsgesetzes,
§§ 19 bis 21 und 22a Abs. 1 Nr. 4. 5 und 7 des Gesetzes
über die Kontrolle von Kriegswaffen oder § 29a Abs.
1 Nr. 2, § 30 Abs. 1 Nr. 1, 4 oder § 30a des Betäubungsmittelgesetzes,
soweit gegen die Person eine Beschränkung nach § 2 angeordnet
ist oder wenn tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht
bestehen, daß jemand eine der vorgenannten Straftaten plant,
begeht oder begangen hat. § 12 des BND-Gesetzes bleibt unberührt.
(4) Der Bundesnachrichtendienst prüft, ob durch Maßnahmen
nach Absatz 1 erlangte personenbezogene Daten für die dort
genannten Zwecke erforderlich sind.
(5) Die nach Absatz 1 erlangten Daten sind vollständig zu
den in Absatz 3 bezeichneten Zwecken den Verfassungsschutzbehörden
des Bundes und der Länder, dem Amt für den Militärischen
Abschirmdienst, dem Zollkriminalamt, dem Bundesausfuhramt, den
Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlicher
Sachleitungsbefugnis, den Polizeien zu übermitteln, soweit
dies zur Erfüllung der Aufgaben des Empfängers erforderlich
ist. Die Entscheidung erfolgt durch einen Bediensteten, der die
Befähigung zum Richteramt hat.
(6) Sind nach Absatz 1 erlangte Daten für die dort genannten
Zwecke nicht oder nicht mehr erforderlich und sind die Daten nicht
nach Absatz 5 anderen Behörden zu übermitteln, sind
die auf diese Daten bezogenen Unterlagen unverzüglich unter
Aufsicht eines Bediensteten, der die Befähigung zum Richteramt
hat, zu vernichten und, soweit die Daten in Dateien gespeichert
sind, zu löschen. Die Vernichtung und die Löschung sind
zu protokollieren. In Abständen von jeweils sechs Monaten
ist zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Vernichtung
oder Löschung vorliegen.
(7) Der Empfänger prüft, ob er die nach Absatz 5 übermittelten
Daten für die in Absatz 3 bezeichneten Zwecke benötigt.
Benötigt er die Daten nicht, hat er die Unterlagen unverzüglich
zu vernichten. Die Vernichtung kann unterbleiben, wenn die Trennung
von anderen Informationen, die zur Erfüllung der Aufgaben
erforderlich sind, nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand möglich
ist: eine Verwendung dieser Daten ist unzulässig.
(8) Betroffenen, deren Daten durch eine Maßnahme nach Absatz
1 erlangt worden sind, ist die Beschränkung des Fernmeldegeheimnisses
mitzuteilen, sobald eine Gefährdung des Zwecks der Beschränkung
und der Verwendung ausgeschlossen werden kann. Eine Mitteilung
unterbleibt, wenn die Daten
1. vom Bundesnachrichtendienst innerhalb von drei Monaten nach
Erlangung oder
2. von der Behörde, der sie nach Absatz 5 übermittelt
worden sind, innerhalb von drei Monaten nach Empfang
vernichtet worden sind. Die Mitteilung obliegt dem Bundesnachrichtendienst,
im Falle der Übermittlung nach Absatz 5 der Empfängerbehörde.
(9) Die Kommission kann dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz
vor ihrer Entscheidung über die Zulässigkeit und Notwendigkeit
einer Maßnahme nach § 9 Abs. 2 Gelegenheit zur Stellungnahme
in Fragen des Datenschutzes geben. Die Stellungnahme erfolgt ausschließlich
gegenüber der Kommission.
(10) Das Gremium nach § 9 Abs. 1 erstattet dem Bundestag
jährlich einen Bericht über die Durchführung der
Maßnahmen nach den Absätzen 1 bis 9.
2. Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde
vorrangig gegen § 3 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 2 bis 6 und Abs.
8 G 10. Soweit dies erforderlich werden sollte, begehrt er auch
eine Überprüfung des § 3 Abs. 4 sowie der Absätze
3, 5 und 7 G 10. Zugleich strebt er eine vorläufige Regelung
dahin an, daß die angegriffenen Normen nicht oder jedenfalls
nicht im vorgesehenen Ausmaß in Kraft treten. Er trägt
vor, daß er als Professor des Strafrechts mit einem Schwerpunkt
im Betäubungsmittelrecht und zahlreichen ausländischen
Kontakten aller Wahrscheinlichkeit nach von der verdachtslosen
Rasterfahndung selbst und gegenwärtig betroffen sei. Da er
von der Überwachung nach der Regelung des Gesetzes aber nichts
erfahre, bleibe ihm nur die Möglichkeit, dieses unmittelbar
anzugreifen. Die Umsetzung der erweiterten Überwachungsbefugnisse
bedeute praktisch die völlige Aufhebung des Fernmeldegeheimnisses
(Art. 10 GG) für ihn und eine Unzahl unverdächtiger
Bürger.
3. a) Das Bundesministerium des Innern ist namens der Bundesregierung
dem Antrag entgegengetreten. Erginge die einstweilige Anordnung,
würde der Verfassungsbeschwerde aber später nicht stattgegeben,
so ergäben sich schwere Nachteile sowohl für die Sicherheitsinteressen,
die Außenpolitischen Zielsetzungen und das Ansehen der Bundesrepublik
Deutschland als auch für die Sicherheitsbelange der Bürger.
Erginge die einstweilige Anordnung nicht, erwiese sich die Verfassungsbeschwerde
später jedoch als begründet, entstünden dem Beschwerdeführer
jedenfalls keine schweren oder nicht wiedergutzumachenden Nachteile.
Bei der Femmeldeüberwachung kämen als Suchbegriffe vorrangig
Chiffrewörter und Suchbegriffskombinationen in Betracht.
Sollte gleichwohl der Fall eintreten. daß Fernmeldeverkehr
des Beschwerdeführers erfaßt werde, so ließe
sich dieser leicht als Wissenschaftlerkorrespondenz erkennen;
die Aufzeichnung werde dann so fort vernichtet.
b) Zur Verfassungsbeschwerde und zum Eilantrag haben außerdem
der Bundesbeauftragte für den Datenschutz sowie die Datenschutzbeauftragten
der Länder Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg,
Nordrhein-Westfalen, Saarland. Sachsen und Schleswig-Holstein
Stellung genommen. Sie erheben durchweg verfassungsrechtliche
Bedenken gegen die angegriffenen Vorschriften.
II.
Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung ist zulässig
und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht
im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig
regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung
drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen
Wohl dringend geboten ist. Bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen
des § 32 Abs. 1 BVerfGG gegeben sind, ist wegen der meist
weittragenden Folgen einer verfassungsgerichtlichen einstweiligen
Anordnung ein strenger Maßstab anzulegen; das gilt besonders,
wenn ein Gesetz außer Vollzug gesetzt werden soll (BVerfGE
81, 53 [54]: 82, 310 [313]; 82, 353 [363] = EUGRZ 1990. 433 [436];
83. 162 [171] = EUGRZ 1990, 556 [559]; st. Rspr.). Die Erfolgsaussichten
der Verfassungsbeschwerde sind dabei nur insoweit relevant, als
diese sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich
unbegründet erweist. Bei offenem Ausgang des Verfassungsbeschwerdeverfahrens
haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit
des angegriffenen Hoheitsaktes angeführt werden, grundsätzlich
außer Betracht zu bleiben. Das Bundesverfassungsgericht
muß die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige
Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg
hätte, gegenüber den Nachteilen abwägen, die entstünden,
wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde,
der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre
(vgl. BVerfGE 77. 121 [124] = EUGRZ 1987. 418 [419]; 80, 360 [363
f.]: 85, 94 [95 f.]: st. Rspr.).
1. Die Verfassungsbeschwerde ist weder von vornherein unzulässig
noch offensichtlich unbegründet.
Der Beschwerdeführer hat hinreichend dargelegt, daß
er von den Maßnahmen nach § 3 Abs. 3 Satz 1 und 2 Nr.
2 bis 6 G 10 betroffen sein kann. Da er nicht die Möglichkeit
hat, sich gegen Vollzugsakte zu wenden, weil er von Eingriffen
in seine Grundrechte nichts erfährt, steht ihm die Verfassungsbeschwerde
unmittelbar gegen das Gesetz zu (vgl. BVerfGE 30, 1 [15 f.]).
In dem Verfahren über die Hauptsache stellen sich grundsätzliche
verfassungsrechtliche Fragen insbesondere zu den Möglichkeiten
einer Einschränkung des in Art. 10 GG verankerten Brief-,
Post- und Fernmeldegeheimnisses, die einer eingehenden Prüfung
bedürfen. Namentlich wird zu prüfen sein, ob die Voraussetzungen
von Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG gewahrt sind, ob die Regelung über
die Erlangung, Weitergabe und Verwertung der Daten mit dem Recht
auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung
mit Art. 1 Abs. 1 GG, mit dem Fernmeldegeheimnis aus Art. 10 Abs.
1 GG und mit dem Prinzip umfassenden Rechtsschutzes nach Art.
19 Abs. 4 GG vereinbar ist und ob das Gesetz die erforderlichen
verfahrensmäßigen Sicherungen bietet.
2. Demnach hängt die Begründetheit des Antrags auf Erlaß
einer einstweiligen Anordnung von der Folgenbeurteilung und -abwägung
ab. Dabei fällt nicht nur die Schwere des Eingriffs in die
Rechtsposition des Beschwerdeführers ins Gewicht. Vielmehr
sind auch die für den Anordnungserlaß sprechenden Interessen
anderer Grundrechtsträger und der Allgemeinheit zu berücksichtigen
(BVerfGE 12, 276 [280]; st. Rspr.). Die im Falle der Ablehnung
einer einstweiligen Anordnung zu erwartenden Nachteile müssen
schwer im Sinne des § 32 Abs. 1 BVerfGG sein und gegenüber
den Nachteilen, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung
erlassen würde, die Verfassungsbeschwerde aber keinen Erfolg
hätte, überwiegen. Dabei ist zwischen den einzelnen
Befugnissen zu unterscheiden.
a) Bliebe die Regelung der Überwachungsbefugnisse in §
3 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 2 bis 6 G 10 in Kraft und hätte
die Verfassungsbeschwerde im Hauptsacheverfahren Erfolg, würden
möglicherweise Fernmeldeverkehre des Beschwerdeführers
und jedenfalls einer sehr großen Zahl anderer Grundrechtsträger
computergesteuert mit Hilfe von Suchbegriffen überwacht und
gegebenenfalls aufgezeichnet. Einige Datenschutzbeauftragte gehen
von Zahlen in sechsstelliger Höhe täglich für die
rechnergestützte Überwachung und von täglich etwa
viertausend aufgezeichneten Gesprächen aus. Schon daraus
können sich Nachteile ergeben. Die Befürchtung einer
Überwachung mit der Gefahr einer späteren Auswertung,
etwaigen Übermittlung und weiterer Verwendung durch andere
Behörden kann bei den Grundrechtsträgern schon im Vorfeld
zu Kommunikationsstörungen und zu Verhaltensanpassungen führen.
Hier sind nicht nur die individuellen Beeinträchtigungen
einer Vielzahl einzelner Grundrechtsträger zu berücksichtigen.
Vielmehr betrifft die heimliche Überwachung des Fernmeldeverkehrs
auch die Kommunikationsfreiheit und das Kommunikationsverhalten
der Fernsprechteilnehmer insgesamt. Das würde nicht nur die
Entfaltungschancen der Einzelnen beeinträchtigen, sondern
auch das Gemeinwohl (vgl. BVerfGE 65, 1 [43] = EUGRZ 1983, 577
[588]).
Würde der Vollzug der angegriffenen Regelung vorläufig
ausgesetzt, erwiese sich die Verfassungsbeschwerde aber später
als unbegründet, hätten Fernmeldeverkehre, die für
die in § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 bis 6 G 10 genannten Sachverhalte
von Belang sind, nicht überwacht werden können. Damit
entfiele die Möglichkeit, aufgezeichnete Kontakte im Rahmen
der dem Bundesnachrichtendienst zugewiesenen Aufgaben auszuwerten
und die Informationen zu nutzen sowie bestimmte Daten gegebenenfalls
zu Zwecken der Verhinderung, Aufklärung und Verfolgung der
in § 3 Abs. 3 G 10 genannten Straftaten zu übermitteln
und zu verwenden. Würde bereits die Regelung der Überwachungsbefugnisse
einstweilen außer Vollzug gesetzt, wäre darüber
hinaus die Möglichkeit einer nachträglichen Auswertung
versperrt.
Wägt man die Folgen ab, wiegen die Nachteile im Falle der
Ablehnung der begehrten Anordnung weniger schwer als die Nachteile
im Falle ihres Erlasses. Soweit Nachteile im Zusammenhang mit
Auswertungen. Übermittlungen und Verwendungen zu erwarten
sind, kann dem durch eine vorläufige Regelung hinsichtlich
der dazu ermächtigenden ebenfalls angegriffenen Befugnisnormen
Rechnung getragen werden. Das gilt um so mehr als die durch die
Erwartung einer Überwachung hervorgerufenen Befürchtungen
und damit verbundene Kommunikationsstörungen und Verhaltensanpassungen
in Art, Umfang und Gewicht wesentlich von der Gestaltung der Auswertungs-,
Übermittlungs- und Verwendungsbefugnisse abhängig sind.
Sofern die Entscheidung in der Hauptsache nachträglich Auswertungen,
Übermittlungen und Verwendungen zwischenzeitlich stattfindender
Aufzeichnungen ermöglichte, würden diese nach Maßgabe
der dann herausgearbeiteten verfassungsrechtlichen Anforderungen
durchgeführt. Würden demgegenüber bereits die Befugnisse
zur Überwachung vorläufig außer Vollzug gesetzt,
wäre im Falle einer späteren Zurückweisung der
Verfassungsbeschwerde die Möglichkeit einer nachträglichen
Auswertung versperrt.
b) Bliebe die Regelung der Auswertutngsbefugnisse des Bundesnachrichtendienstes
in § 3 Abs. 3 und 4 G 10 in Kraft und hätte die Verfassungsbeschwerde
im Hauptsacheverfahren Erfolg, wären möglicherweise
Fernmeldeverkehre des Beschwerdeführers, jedenfalls aber
einer großen Zahl von Grundrechtsträgern durch Mitarbeiter
des Bundesnachrichtendienstes ausgewertet worden. Dabei ist nach
dem bisherigen Erkenntnisstand davon auszugehen, daß Fernmeldeverkehre
jeglichen Inhalts erfaßt werden können und daß
diese vollständig aufgezeichnet und ausgewertet werden. An
eine Auswertung können sich Nachteile im Rahmen der Aufgabenwahrnehmung
des Bundesnachrichtendienstes anschließen. Nach der gesetzlichen
Festlegung des Verwendungszwecks für erlangte Informationen
und Daten ist der Bundesnachrichtendienst im Rahmen seiner Aufgaben
nach § 1 Abs. 2 BND-Gesetz berechtigt, den Fernmeldeverkehr
zu überwachen und aufzuzeichnen, um die in § 3 Abs.
1 Satz 2 Nr. 2 bis 6 G 10 aufgezählten Gefahren rechtzeitig
zu erkennen und ihnen zu begegnen. Gemäß § 1 Abs.
2 BND-Gesetz sammelt der Bundesnachrichtendienst zur Gewinnung
von Erkenntnissen über das Ausland. die von außen oder
sicherheitspolitischer Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland
sind, die erforderlichen Informationen und wertet sie aus. §
12 BND-Gesetz sieht Berichtspflichten gegenüber der Bundesregierung
vor, die auch personenbezogene Daten umfassen. Im Rahmen der Auslandsaufklärung
werden Lageanalysen erstellt, aber auch wie die Beispiele in der
Stellungnahme der Bundesregierung belegen einzelne Vorgänge
erforscht und dazu Hinweise gegeben, die zu weiteren Schritten
gegenüber den Betroffenen führen können. Je nach
Gesprächs- oder Telefaxinhalt kann die Auswertung Einblick
in private Angelegenheiten geben. Soweit die Grundrechtsträger
eine Aufzeichnung, und Auswertung ihrer Fernmeldeverkehre befürchten,
können Kommunikationsstörungen, insbesondere Beeinträchtigungen
der Unbefangenheit der Kommunikation, und Verhaltensanpassungen,
etwa bei der Wahl der Kommunikationsthemen, die Folge sein. Die
nachteiligen Folgen wären irreversibel, da sie mit der erfolgenden
Auswertung und mit deren Befürchtung einträten.
Würde der Vollzug der angegriffenen Regelung vorläufig
ausgesetzt, ewiese sich die Verfassungsbeschwerde aber später
als unbegründet, hätten im Rahmen der Überwachung
aufgezeichnete Fernmeldeverkehre nicht ausgewertet werden können.
Die Möglichkeit einer Auswertung wäre allerdings nicht
endgültig, sondern nur bis zur Entscheidung in der Hauptsache
versperrt. In vielen Fällen könnte das Ziel der Regelung
jedoch, da die Aktualität der Kenntnisse entscheidend sein
wird, bei einer nachträglichen Auswertung nicht oder nur
noch eingeschränkt erreicht werden. Die fehlende Auswertung
würde dazu führen, daß erfolgte Aufzeichnungen
nicht als Informationen für die Aufgaben verwertet und nicht
weiter umgesetzt werden könnten. Die von einigen Datenschutzbeauftragten
erhobenen Zweifel an der Eignung der Überwachung außer
Betracht gelassen, könnten Nachteile für die Sicherheitsbelange
und das außenpolitische Ansehen der Bundesrepublik sowie
die außenpolitische Handlungs- und Gestaltungsfähigkeit
und für Sicherheitsinteressen der Bürger eintreten.
Wägt man die Folgen ab, so überwiegen die Nachteile
der Anordnungsablehnung jedenfalls in den Fällen, in denen
kein hinreichend gesicherter Verdacht der Planung oder Begehung
der im Gesetz näher bezeichneten Straftaten besteht. Die
im Rahmen der verdachtslosen Überwachung aufgezeichneten
Kommunikationen würden vielmehr ausgewertet, ohne daß
feststeht, ob hinreichende Vorkehrungen zum Schutz Unverdächtiger
bestehen. Die von der Überwachung drohende Störung des
Kommunikationsverhaltens wäre besonders groß, wenn
der Einzelne befürchten müßte, einer Kenntnisnahme
und Verwertung seiner privaten oder beruflichen Kontakte ausgesetzt
zu sein, ohne entsprechende Verdachtsmomente geliefert zu haben.
Insoweit kann ein Überwiegen der Sicherheitsbelange nur angenommen
werden, wenn sich aus den Aufzeichnungen bestimmte Tatsachen ergeben,
die den konkreten Verdacht der Planung oder Begehung einer der
genannten Straftaten begründen. Dementsprechend kommt bis
zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde eine Auswertung
erlangter Informationen nur in Betracht, wenn diese Voraussetzung
vorliegt. Durch die Einschränkung wird die Verbrechensbekämpfung
gegenüber dem früheren Rechtszustand nicht zusätzlich
erschwert . Hat die Verfassungsbeschwerde keinen Erfolg, so ist
die durch den Erlaß der einstweiligen Anordnung entstehende
Informationslücke schließbar, während die Nachteile
für die von der Auswertung und ihren Folgen Betroffenen großenteils
nicht mehr reversibel sind.
c) Blieben die Bestimmungen über die Übermittlungsbefugnisse
des Bundesnachrichtendienstes in § 3 Abs. 5 G 10 und über
die Auswertungs- und Verwendungsbefugnisse der datenempfangenden
Stellen in § 3 Abs. 7 und 3 G 10 in Kraft und hätte
die Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache Erfolg, wären
von den ausgewerteten Aufzeichnungen diejenigen übermittelt
worden, die aus der Sicht des BND zur Erfüllung der Aufgaben
des Empfängers für die in § 3 Abs. 3 G 10 genannten
Zwecke erforderlich sind. Die Tatbestandsvoraussetzungen der Übermittlungsbefugnis
bleiben hinter den strafprozessualen Anforderungen an das Bestehen
eines Verdachts und auch hinter den Voraussetzungen des Einsatzes
vergleichbar intensiv eingreifender Ermittlungsmethoden wie der
Überwachung des Femmeldeverkehrs nach § 100 a StPO zurück.
Daher kann man davon ausgehen, daß eine erhebliche Zahl
von Aufzeichnungen übermittelt und zugleich zahlreiche Grundrechtsträger
betroffen sein werden, gegen die keine konkreten Verdachtsgründe
vorliegen. Die übermittelten Daten werden von der Empfängerbehörde
zur Kenntnis genommen. Soweit die Daten nicht vernichtet werden,
richtet sich die weitere Verwendung nach § 3 Abs. 3 G 10
und den Bestimmungen des einschlägigen Gesetzes. Zu rechnen
ist jedenfalls mit weiteren Ermittlungsmaßnahmen, die erhebliche
Nachteile mit sich bringen können. Darüber hinaus wird
bereits die Befürchtung der Grundrechtsträger, daß
Aufzeichnungen ihrer Fernmeldeverkehre weitergeleitet, ausgewertet
und zum Anlaß strafrechtlicher Ermittlungen unter Umständen
auch gegen dritte Personen, die Kommunikationsthema waren genommen
werden könnten, Kommunikationsstörungen und Verhaltensanpassungen
hervorrufen.
Würde der Vollzug dieser Regelungen vorläufig ausgesetzt,
ewiese sich die Verfassungsbeschwerde aber später als unbegründet,
würden die aus Sicht des Bundesnachrichtendienstes zur Erfüllung
der Aufgaben des Empfängers erforderlichen Aufzeichnungen
nicht übermittelt und nicht von der Empfängerbehörde
überprüft und gegebenenfalls zur Verhinderung, Aufklärung
oder Verfolgung der in § 3 Abs. 3 G 10 bezeichneten Straftaten
verwendet. Die Empfängerbehörde könnte von den
im Gesetz vorgesehenen zusätzlichen Informationsquellen vorübergehend
keinen Gebrauch machen. Ihre bisher schon bestehenden Ermittlungsbefugnisse
wären davon unbeeinträchtigt. Nachträgliche Übermittlungen
kämen in vielen Fällen aber voraussichtlich zu spät,
um anstehende Straftaten zu verhindern. Aufklärung und Verfolgung
könnten zumindest erschwert sein. Eignung und Relevanz der
Datenübermittlungen vorausgesetzt, würden dadurch Sicherheitsbelange
in einem Maße beeinträchtigt, das nach der jeweiligen
Straftat variiert. Der Katalog des § 3 Abs. 3 G 10 umfaßt
hochrangige Rechtsgüter und Sicherheitsinteressen gravierender
Art, geht aber auch über diesen Bereich hinaus. Bei einer
Reihe von Straftatbeständen könnten die Sicherheitsbelange
der Bundesrepublik insgesamt und unter bestimmten Voraussetzungen
auch das außenpolitische Ansehen der Bundesregierung beeinträchtigt
werden.
Wägt man die Folgen ab, überwiegen die Nachteile der
Anordnungsablehnung in den Fällen, in denen Aufzeichnungen
der datenempfangenden Behörde übermittelt werden, ohne
daß ein in der erforderlichen Weise gesicherter Verdacht
der Planung oder Begehung der aufgezählten Straftaten gegeben
ist. Die im Rahmen der verdachtslosen Überwachung aufgezeichneten
grundrechtsgeschützten Kommunikationen würden ohne hinreichend
schützende Anforderungen einer zusätzlichen Kenntnisnahme
und Auswertung durch andere Stellen ausgesetzt. Insoweit ist auch
zu berücksichtigen, daß die Strafprozeßordnung
noch nicht hinreichend an die aus dem Volkszählungsurteil
(BVerfGE 65, 1 = EUGRZ 1983, 577) folgenden Vorgaben angepaßt
worden ist. Würden in einer nicht unbedeutenden Anzahl von
Fällen Ermittlungsmaßnahmen und Informations- und Datenverarbeitungsvorgänge
aufgrund von Verdachtsanhaltspunkten erfolgen, die sich im Ergebnis
als strafrechtlich irrelevant erwiesen, wären Beeinträchtigungen
der Grundrechtsträger zu besorgen, ohne daß dem ein
ins Gewicht fallender Nutzen auf seiten der Sicherheitsbelange
gegenüberstünde. Kommunikationsstörungen und Verhaltensanpassungen,
die auf der Befürchtung einer Überwachung mit nachfolgender
strafrechtlicher Verwertung beruhen, werden um so eher eintreten
und um so gravierender sein, je mehr die Grundrechtsträger
befürchten müssen, daß Aufzeichnungen ihrer Kommunikationen
auch ohne eine zureichende Verdachtschwelle übermittelt und
ausgewertet werden. Ein Überwiegen der Sicherheitsbelange
kann im Rahmen der hier zu treffenden Abwägung nur dann angenommen
werden, wenn sich aus den Aufzeichnungen bestimmte Tatsachen ergeben,
die den Verdacht der Planung oder Begehung einer der genannten
Straftaten begründen. Eine solche Schwelle entspräche
den Tatbestandsvoraussetzungen des § 100 a StPO, die von
ihrem Sinn her im Rahmen der hier zu treffenden vorläufigen
Regelung übertragbar sind.
d) Bliebe der Ausschluß der Mitteilungspflicht in §
3 Abs. 8 G 10 in Kraft und hätte die Verfassungsbeschwerde
im Hauptsacheverfahren Erfolg, wären den Grundrechtsträgern
die Beschränkung des Fernmeldegeheimnisses entweder nur unter
der Voraussetzung. daß eine Gefährdung des Zwecks der
Beschränkung oder der Verwendung ausgeschlossen ist, oder
gar nicht mitgeteilt worden. Mangels Kenntnis könnten die
Betroffenen ihre gegenüber der jeweiligen staatlichen Stelle
nach Maßgabe des einschlägigen Gesetzes bestehenden
Rechte nicht geltend machen. Darüber hinaus könnten
sie den Rechtsweg nicht beschreiten. Eine Mitteilung könnte
unter Umständen im Falle eines Erfolgs der Verfassungsbeschwerde
nachgeholt werden.
Würde der Vollzug der Mitteilungsbeschränkung nach §
3 Abs. 8 Satz 1 G 10 vorläufig ausgesetzt, erwiese sich die
Verfassungsbeschwerde aber später als unbegründet, wäre
den Betroffenen die Beschränkung mitgeteilt worden. Aus den
Mitteilungen könnten unter Umständen Anhaltspunkte für
die Arbeitsweise des BND und für die konkreten Beobachtungsfelder
und -methoden gewonnen werden. Eine solche Offenlegung wäre
auch im Falle der späteren Zurückweisung der Verfassungsbeschwerde
irreversibel. Die Außervollzugsetzung der in § 3 Abs.
8 Satz 2 G 10 vorgesehenen Mitteilungsbeschränkung bei sofortiger
Vernichtung könnte zur Folge haben, daß personenbezogene
Daten de facto länger aufbewahrt werden; als weiterer Nachteil
käme die verwaltungsmäßige Belastung in Betracht.
Wägt man die Folgen ab, wiegen die Nachteile, die bei einer
Ablehnung der einstweiligen Anordnung eintreten, in den Fällen
weniger schwer, in denen durch die Mitteilung der Zweck der Überwachung
oder der Verwendung der Daten gefährdet würde, insbesondere
eine Offenlegung der konkreten Beobachtungsfelder und -methoden
des BND zu befürchten wäre. Die Zweckgefährdungen
oder Offenlegungen wären auch bei späterer Zurückweisung
der Verfassungsbeschwerde nicht mehr rückgängig zu machen,
während eine Mitteilung bei Erfolg der Verfassungsbeschwerde
möglicherweise nachgeholt werden könnte. In den von
§ 3 Abs. 8 Satz 2 G 10 erfaßten Fällen läßt
sich nicht feststellen, daß die mit der Aussetzung verbundenen
Nachteile diejenigen Nachteile überwiegen, die eintreten,
wenn das Gesetz vorläufig weiter angewendet wird. Angesichts
des strengen Prüfungsmaßstabs kann unter diesen Umständen
eine einstweilige Anordnung insoweit nicht ergehen.»
An der Entscheidung wirkten mit die Richter: Vizepräsident
Henschel, Seidl, Grimm, Söllner. Kühling, Seibert, Jaeger,
Haas
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