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FOCUS, 24. 4.1995, Seite 28. ff


Größter Daten-Klau

Die Berliner Staatsanwaltschaft ist auf der Spur des möglicherweise größten Datenschutzskandals der Republik. Millionen Bundesbürger sollen illegal ausgeforscht worden sein.

Die Polizisten von der Abteilung Türöffnungsdienst hatten keine Probleme. Vier mit gutsortierten Werkzeugkästen bestückte Beamte machten am vergangenen Freitag um fünf Uhr morgens kurzen Prozeß. Sie knackten die Pforten der dreigeteilten Berliner Wirtschaftsauskunftei D.A.V.I.T GmbH (Datenvermittlung), B.B.E. GmbH (Berichte, Bilanzen, Ergebnisse) und Credit Report GmbH - 90 Kriminalbeamte und zwei Staatsanwälte strömten in die Firmenräume. Acht Stunden lang sicherten sie kistenweise Beweismittel im möglicher weise größten deutschen Datenschutzskandal.

Die Vorwürfe der Berliner Justiz, die unter anderem durch eine Strafanzeige von den Machenschaften erfuhr, formuliert Justizsprecher Frank Thiel so: "40 Beschuldigte stehen im Verdacht des strafbaren Verstoßes gegen das Bundesdatenschutzgesetz, des Betrugs sowie des Mißbrauchs von Titeln und Amtsanmaßung." Im Klartext: Mit einer Mischung aus seriösem Geschäftsgebaren und krimmineller Energie soll D.A.V.I.T seit mehreren Jahren das Privat- und Geschäftsleben von Millionen Bürgern und Firmen erkundet haben - bundesweit. Nach Informationen der Staatsanwaltschaft hat die Auskunftei mit illegalen Telefonrecherchen und dem Kauf von Datenstämmen rund 13 Millionen Negativdaten von über sieben bis acht Millionen Bundesbürgern gesammelt und gespeichert: Gerichtsverfahren, Mahnbescheide, Kreditkündigungen, aber auch vertrauliche Details wie Krankheiten und Vorstrafen.

Penibel durchsuchte die Kripo auch Privaträume der drei Geschäftsführer Günter Mainka, 29, Axel von Saldern, 25, und Michael Sänger, 30.

400 Kunden, darunter 90 Riesen wie Quelle, Conrad Electronic, Concordia-Versicherung, der Haftpflichtverband der Deutschen Industrie (HdI) und Mobilfunk-Anbieter wie Motorola Electronic zählten zu den D.A.V.I.T.-Partnern.

Die "Mittäter" sitzen in Behörden und Ämtern. Leichtgläubige Angestellte und Beamte in Gerichtsstuben, Krankenkassen-Büros, Polizeidienststellen sowie Arbeits-, Finanz- und Einwohnermeldeämtern, die am Telefon preisgaben, was laut Gesetz nicht preisgegeben werden darf. Jeder kann Opfer sein: der Versandhauskunde, der per Katalog ordert, der Autokäufer, der einen Kredit aufnimmt, oder der Geschäftsmann, der sich ein Handy bestellt.

Seitenanfang Die ersten Gesprächspartner für den Kundenwunsch nach Durchleuchtung einer "zu beauskunftenden Person" waren angeblich für die D.A.V.I.T.-Telefonisten meist das Opfer selbst, Nachbarn und der Postbote. Zum Beispiel mit dem Einstieg "Hier ist die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte. Die EDV-Abteilung hat gemeldet, daß Sie den Arbeitgeber gewechselt haben. Stimmt das?" sollen die Späher schnell einen Überblick über die Arbeitsverhältnisse der ganzen Familie gewonnen haben.

Als bestens informiert und plauderwillig erwiesen sich nach den Erfahrungen der Hascher die Briefträger. Freilich nur über den "Umweg", sich als Mitarbeiter eines Postamts auszugeben, der wegen des fehlenden Nachsendeantrags mit alter Post des "Opfers" belästigt wird.

Zweiter Teil der Telefonrecherche: das zuständige Einwohnermeldeamt. In diesem Fall seien Mitarbeiter der Berliner Firma auch vor Amtsanmaßung nicht zurückgeschreckt. "Hier Amtsgericht Charlottenburg. Wir versuchen ständig, Herrn XY eine Zeugenladung zuzuschicken", lautete eine gängige Eintrittsformel der findigen Schnüffler. Wenige Minuten später hatte sich das gewünschte Bild der "zu beauskunftenden Person" um neue Intimitäten erweitert: Geburtsdatum, Wohnsitzdaten, Religion, Steuerklasse, Wahlsperren, Arbeitslosigkeit.

Ein firmeninternes Schulungspapier zum Thema "Bankgespräche" zeigt, wie's geht: "Sollten Sie sich mit falschem Namen nennen, so empfehle ich einen lustigen Namen." Auch die Generallinie ist klar: "Das Datenschutzgesetz hat hier scharfe Richtlinien, welche Sie in keiner Weise erfüllen."

Erfahrungsgemäß sperrten sich die stets gestreßten Mitarbeiter der Einwohnermeldeämter gegen die grundsätzlich untersagte Telefonauskunft nur selten. Auch hier galt: Je häufiger der Kontakt, je kollegialer der Ton("Ich ruf auch gern nochmal an, wenn Ihr gerade im Streß seid"), desto größer die Chancen für eine Zusammenarbeit. Besonders interessiert waren viele der Kunden an der finanziellen Situation ihrer Kreditnehmer oder Geschäftspartner. Kein Problem:

Der Anrufer gab sich laut Staatsanwaltschaft bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) als beliebige Landesversicherungsanstalt aus und ließ sich mit der kontoführenden Stelle, der sogenannten "Rate" verbinden. Schnell erschlossen sich dem Bittsteller die zuständige Krankenkasse, Bankverbindung und das Jahresbruttogehalt. Viele Banken waren zu mehr bereit.

Verlocken kann man sie so: "Wir wollen Herrn XY ein Kreditlimit geben. Könnt ihr mir unter BüV (Banküblicher Vorbehalt d. Red.) sagen, ob der für 5000 gut ist?" lautete die Testfrage bei der Deutschen Bank Berlin, Filiale Ku'damm. Volltreffer: Die Bankfrau gab den Kontostand preis und Wies ungefragt darauf hin, daß der Betroffene "über ausreichende Sparrücklagen" verfügte.

Rechtsanwälte und Versandhäuser waren sehr an eventuellen Einträgen im Polizeiregister interessiert. Die Chancen auf umfassende Auskünfte durch D.A.V.I.T standen gut, wenn sich die mutmaßlichen Datenpiraten bei einer beliebigen Polizeidienststelle als Kollegen einer anderen Wache oder als Gerichtsmitarbeiter meldeten und eine eilige Angelegenheit vortäuschten.

Für Kunden, deren Wissensdurst auch das Krankheitsbild umfaßte, hatte die Firma ebenfalls eine passende Legende parat. "BfA Berlin, hallo, Herr Kollege", begann der Rechercheur sein Gespräch mit der Krankenkassen-Angestellten. Über die Eingangsplauderei "Uns fehlt der Entgeltnachweis von Herrn XY. Dauernd kommt die Post zurück. Ist der etwa umgezogen? entwickelte sich ein nettes Gespräch. Ergebnis: " Übrigens will der die Krankenkasse wechseln. Warum eigentlich? War er oft krank?"

Für den möglichen, da vorgeschriebenen Wunsch nach Rückruf bei der BfA hatte sich die Firma einen geschickten Trick einfallen lassen. 865-1 bis einschließlich -8 lautet die BfA-Einwahl plus vierstelliger Durchwahl. Der Rechercheur gab jedoch als seine Nummer die Einwahl 865-9 plus Durchwahl an: eine "Todnummer", die ständig besetzt war. Nach zwei Stunden rief er wieder bei der gewissenhaften, aber mittlerweile entnervten Sachbearbeiterin an und erkundigte sich freundlich-höhnisch, warum sie nicht zurückgerufen habe. Auf einen zweiten Versuch verzichtete sie ohne Zögern - und rückte bereitwillig die noch fehlenden Details heraus.

Rund 90 000 Anfragen zum Preis von 2,50 Mark bis zu dreistelligen Summen gingen monatlich ein. Das Gros der Infowünsche beantwortete die Firma per Datenfernübertragung. Recherchewünsche zu noch nicht gespeicherten Firmen oder Personen wurden an die geschulten Telefonisten delegiert.

Das Geschäfstrio freute sich über steigenden Umsatz: Nach sieben Millionen Mark im vergangenen Jahr sollte 1995 die Zehn-Millionen-Grenze überschritten werden.

Von diesem Erfolg hatten Axel von Saldern und Günter Mainka vor sechs Jahren noch nicht zu träumen gewagt, als sie mit zwei Mitarbeitern D.A.V.I.T gründeten. Zu dem datendurstigen Duo, das sich 1980 auf einer Halloween-Party kennengelernt hatte, gesellte sich 1991 Michael Sänger hinzu. Die Jungunternehmer glaubten, die Zeichen der totalvernetzten Datenzeit erkannt zu haben. Neben der eigenen Recherche, in seriösen Auskunftei-Kreisen "Nachbarbefragung" genannt, kauften sie soviel Datenstämme wie möglich: Adreßlisten, Schuldnerverzeichnisse usw. Mehrere InkassoInstitute speisten ständig neue Negativdaten in den 1,2 Millionen Mark teuren Großrechner der Firma ein - freilich ohne die vorgeschriebene Benachrichtigung der ahnungslosen Bürger.

"Das Allerwichtigste" sei natürlich der Datenschutz, betonen die Geschäftsführer offiziell. Mit dem Rechtsanwalt Ralf Abel habe man einen "außerordentlichen Fachmann" als Datenschutzbeauftragten gewonnen. Nie habe es seitens der zuständigen Behörde, der Senatsverwaltung für Inneres, Beanstandungen gegeben.

Problem der Auskunftei-Kunden: Sie alle verbuchen Millionenverluste, weil Kunden die Zeche prellen. Ihr gemeinsamer Nachteil: Sie gehören Branchen an, die weitgehend auf die Ehrlichkeit ihrer Klientel angewiesen sind. Während im Einzelhandel die schlichte Devise "Geld gegen Ware" gilt, setzen Versandhandel, Mobilfunkanbieter oder Kreditkartenfinnen gezwungenermaßen auf das Prinzip Hoffnung. Hoffentlich zahlt der Kunde - oft zahlt er nicht.

Auf offenen Rechnungen in Höhe von rund 120 Millionen Mark blieben Handy-Anbieter im vergangenen Jahr sitzen. Um geschätzte 150 Millionen wurden im gleichen Zeitraum Kreditkartenfirmen hierzulande geprellt. Besonders hart traf es die Versandhäuser. Rund 360 Millionen Mark - ein Prozent vom Jahresumsatz verbuchte die Branche 1993 als "statistischen Zahlungsausfall " - Tendenz steigend. Quelle (zwölf Millionen Inlandskunden) beispielsweise schrieb Rechnungen für rund 90 Millionen Mark in den Wind, auf rund sieben Millionen Mark mußte die Quelle-Tochter Schöpflin verzichten.

Auch die Versicherungsriesen HDI, Haftpflichtverband der Deutschen Industrie (2,5 Millionen Verträge), und Concordia (2,2 Millionen Verträge) griffen auf die Dienste der dubiosen Berliner Detektei zurück. Das Motiv lag auf der Hand: Rund eine Milliarde Mark zahlte HDI 1994 für "Versicherungsfälle". Branchen-Faustregel: Etwa fünf Prozent der Schäden sind getürkt, doch der Nachweis fällt oft schwer.

Bittere Einsicht: Lückenlosen Schutz gibt es nicht. "Wenn es jemand darauf anlegt, schafft er das auch", konstatiert Gert Rippel, Geschäftsführer der Conrad Electronic. Obwohl jeder siebte der 1,5 Millionen Conrad-Kunden per Bankeinzug zahlt, bilanziert Europas größter Elektronikversender jährlich zwei Millionen Mark Ausfall. "Die Auskünfte von Schufa oder Creditreform reichen vorn und hinten nicht", klagt Rippel. "Wirklich gute Daten haben mir nur die Jungs von B.B.E. geliefert."

Wahrscheinlich sind die Berliner Verdächtigten kein Einzelfall. Über der gesamten Branche der Handels- und Wirtschaftsauskunfteien braut sich etwas zusammen. Kritiker monieren bereits seit einigen Jahren, daß die Datenschutzregeln für den privaten Bereich unzureichend seien. "Auskunfteien und Detekteien werden nie ganz zu kontrollieren sein. Da sind wir auf viele Zufälle angewiesen, um Mißbrauch nachzuweisen", berichtet der baden-württembergische Ministerialrat Gerd Fasbender, der im Stuttgarter Innenministerium das Datenschutzreferat leitet.

Und: " Die Zahl der Beschwerden über deren Praktiken steigt ständig."

NORBERT ROBERS /OLAF WILKE

Zuletzt geändert:
am 09.02.97

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