25. August 1999:
Berliner Datenschutzbeauftragter
Prof. Dr. Hansjürgen Garstka
Pallasstr. 25/26 10781 Berlin
Der Landesbeauftragte für den Datenschutz
und für das Recht auf Akteneinsicht
Dr. Alexander Dix
Stahnsdorfer Damm 77, 14532 Kleinmachnow
Landesbeauftragter für den Datenschutz
Dr. Stefan Walz
Postfach 10 03 80, 27503 Bremerhaven
Landesbeauftragte für den Datenschutz
Bettina Sokol
Reichsstr. 43, 40217 Düsseldorf
Landesbeauftragter für den Datenschutz
Dr. Helmut Bäumler
Düsternbrooker Weg 82, 24105 Kiel
Für eine Sicherung der freien Telekommunikation in unserer Gesellschaft
Hintergrundpapier
Inhaltsübersicht
- Telekommunikation boomt - Grundrechte gefährdet
- Kontrollnetz wird immer engmaschiger
- Datenspuren überall
- Immer mehr staatliche Abhörbefugnisse
- Effektivitätskontrolle ? Fehlanzeige !
- Betrieb von Telekommunikationsnetzen verpflichtet zur geheimen Zuträgerschaft
- Bundesweiter Zugriff auf Kundendateien
- Überwachungsvorschrift aus der analogen Telefonwelt wiederbelebt
- Europäische Überwachungsstruktur im Aufbau (ENFOPOL)
- Erweiterte Rolle der "Dienste"
- Forderungen
- Gesetz zur Sicherung der freien Telekommunikation erlassen
- "Mediennutzungsgeheimnis" einführen
- Überwachungspflichten begrenzen
- Effektivität kontrollieren
- Illegales Abhören stärker sanktionieren
- Berufliche Schweigepflichten garantieren
- Kommunikationsgeheimnis auch strafrechtlich besser schützen
I. Telekommunikation boomt - Grundrechte gefährdet
Die Bedeutung der Telekommunikation hat in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen und dieser Trend wird sich weiter beschleunigen. Seit der Erfindung des "Fernsprechers" in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sind weltweite Telekommunikationsnetze entstanden, deren Bedeutung sich grundlegend gewandelt hat. Über diese Netze wird längst nicht mehr nur Sprache transportiert, sondern auch Telefaxe (vom Telex oder "Fernschreiber" spricht heute kaum noch jemand) und Informationen aller Art in digitalisierter Form (bis hin zu Bildern, Musikstücken etc.). Mit Hilfe der Telekommunikation können Entfernungen zwischen Kontinenten z.B. satellitengestützt in Sekundenschnelle überbrückt und lebenswichtige Informationen in kürzester Zeit an den Zielort übermittelt werden. Das Internet, das zugleich die Konvergenz von Individual- und Massenkommunikation, von Telekommunikation, Fernsehkonsum und Multimedia verdeutlicht, ist nur die vorläufig letzte Stufe der Entwicklung von Telekommunikationsnetzen. Nicht ohne Grund widmet die Internationale Funkausstellung Berlin 1999 dem Internet besondere Aufmerksamkeit. Die Menschen "unterhalten" sich in mehrfacher Hinsicht mit Hilfe der Telekommunikation. Digitalfernsehen, Web-TV und Push-Technologien einerseits und die bevorstehende Nutzung von Kabelnetzen für Sprachtelefonie andererseits lassen die Grenzen zwischen Fernseh- und PC-Nutzung zunehmend verschwimmen. Fest- und Mobilfunknetze wachsen immer mehr zusammen. Die Informationsgesellschaft ist ohne Telekommunikation undenkbar.
Die medial vermittelte Kommunikation ergänzt zunehmend neben die unmittelbare Kommunikation zwischen Menschen, ohne sie völlig ersetzen zu können. Patientinnen und Patienten holen telefonisch ärztlichen Rat ein, Menschen in seelischer Not nutzen die Telefonseelsorge oder die Drogenberatung im Internet, Wirtschaftsunternehmen tauschen Daten miteinander aus. Um so wichtiger ist es, dass die Kommunikation unter Einschaltung der Technik, die Dritte zur Verfügung stellen, ebenso vertraulich stattfinden kann wie die unmittelbare persönliche Kommunikation (jedenfalls wenn - was der Regelfall ist - alle Beteiligten dies wünschen). Dem dient das grundrechtlich geschützte Fernmelde- oder Telekommunikationsgeheimnisgeheimnis (Art. 10 Grundgesetz). Es soll eine überwachungsfreie Kommunikation sichern und ist von zentraler Bedeutung nicht nur für den Grundrechtsschutz der einzelnen Bürgerinnen und Bürger, sondern auch für die freie Kommunikation in einer freien und demokratischen Gesellschaft insgesamt. Denn "...die Befürchtung einer Überwachung mit der Gefahr einer Aufzeichnung, späteren Auswertung, etwaigen Übermittlung und weiteren Verwendung durch andere Behörden kann schon im Vorfeld zu einer Befangenheit in der Kommunikation, zu Kommunikationsstörungen und zu Verhaltensanpassungen, hier insbesondere zur Vermeidung bestimmter Gesprächsinhalte...führen." Diese Umstände, die das Bundesverfassungsgericht in seiner jüngsten Entscheidung zur verdachtslosen Rasterfahndung im grenzüberschreitenden Fernmeldeverkehr (BVerfG, Urt, v. 14.7.1999, - 1 BvR 2226/94 - u.a., S. 95) ausdrücklich hervorgehoben hat, sind bisher zu wenig beachtet worden.
II. Kontrollnetz wird immer engmaschiger
Dem Telekommunikationsgeheimnis (Artikel 10 Grundgesetz) droht durch die technischen und rechtlichen Entwicklungen eine Erosion, der dringend Einhalt geboten werden muss, wenn die Informationsgesellschaft in Deutschland eine demokratisch und rechtsstaatlich verantwortbare Zukunft haben soll.
Staatliche Überwachungsmaßnahmen in offenen Kommunikationsnetzen berühren angesichts des sich abzeichnenden Wandels des Internets zum Massenmedium zugleich die grundrechtlich geschützte Freiheit, frei die eigene Meinung zu äußern (Meinungsfreiheit, Artikel 5 Abs.1 Satz 1 Grundgesetz) und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten (Informationsfreiheit, Artikel 5 Abs.1 Satz 1 Grundgesetz). Müßten Internet-Nutzerinnen und -Nutzer stets damit rechnen, dass sie vom Staat beobachtet werden, würde dies ihre Informationsfreiheit beeinträchtigen. Strafbare Inhalte, die im Internet angeboten werden, müssen an der Quelle, also bei denjenigen verfolgt werden, die diese Inhalte ins Netz stellen. Keinesfalls rechtfertigt es die Strafverfolgung im Internet, den gesamten Netzverkehr, also insbesondere das Verhalten der Nutzerinnen und Nutzer flächendeckend zu überwachen.
- Datenspuren überall
Aufgrund der Digitalisierung der Telekommunikationsnetze hinterläßt jede Nutzung (jedes Telefongespräch, Fax, E-Mail, jeder Abruf aus dem WorldWideWeb) personenbezogene Spuren, die - für die Dauer ihrer Speicherung - ausgewertet werden können. In den gegenwärtig existierenden Mobilfunknetzen werden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer "geortet", um die Verbindung herstellen zu können. Die Technik erlaubt die Erstellung von Bewegungsprofilen. Es gibt zwar zahlreiche Vorschläge aus der Wissenschaft für eine datenschutzfreundlichere Verbindungstechnik, sie konnten sich aber bisher - auch in der internationalen Standardisierung - nicht durchsetzen. Insofern ist das in der Bundesrepublik inzwischen flächendeckend eingeführte digitale Telekommunikationsnetz im Gegensatz zum früheren analogen Telefonnetz eine Infrastruktur, die eine intensivere Überwachung der Nutzerinnen und Nutzer technisch ermöglicht.
- Immer mehr staatliche Abhörbefugnisse
Die materiell-rechtlichen Befugnisse zur Überwachung des Fernmeldeverkehrs durch Nachrichtendienste und Strafverfolgungsbehörden sind seit Verabschiedung der Notstandsgesetze 1968 ständig ausgedehnt worden. Allein der Katalog der Straftatbestände in der Strafprozessordnung, zu deren Verfolgung die Telekommunikation überwacht werden darf, ist 17mal direkt erweitert worden. Zudem haben die Verfassungsschutzämter des Bundes und der Länder, der Militärische Abschirmdienst und der Bundesnachrichtendienst für geheimdienstliche Zwecke sogar schon im Vorfeld konkreter Gefahren und seit 1994 auch das Zollkriminalamt zur Verhütung von Straftaten nach dem Außenwirtschaftsgesetz und dem Kriegswaffenkontrollgesetz das Recht, die Telekommunikation zu überwachen. Damit aber nicht genug: es gibt kaum ein gesellschaftliches Problem vom Doping bis zur Korruption, zu dessen Bekämpfung nicht nach einer weiteren Ausdehnung der Abhörbefugnisse gerufen wird.
- Effektivitätskontrolle ? Fehlanzeige !
Bei der ständigen Erweiterung der Abhörbefugnisse fällt eines auf: wenn darin ein unverzichtbares Mittel zur Bekämpfung aller möglichen Kriminalitätsformen oder auch nur gesellschaftlich unerwünschten Verhaltens gesehen wird, könnte angenommen werden, dass die Effektivität dieses Mittels hinreichend belegt ist. Das Gegenteil ist der Fall. Aussagekräftige Statistiken oder eine Rechtstatsachenforschung zur Wirksamkeit der Fernmeldeüberwachung fehlen bisher fast völlig oder ihre Ergebnisse werden geheimgehalten. Dies deutet darauf hin, dass die Sicherheitsbehörden insgesamt gesehen kein Interesse an einer empirischen Überprüfung und objektiven Qualitätskontrolle der ausgedehnten Überwachungsbefugnisse haben, sondern eine öffentliche Diskussion dieser Frage eher scheuen. Zwar hat die Bundesregierung jetzt erklärt, dass die Wirksamkeit der strafprozessualen Fernmeldeüberwachung erstmals Gegenstand eines Forschungsprojekts sein soll. Der Evaluationsansatz muss allerdings sehr viel umfassender sein.
Auch fehlen Zahlen über die Häufigkeit, mit der Gerichte entsprechenden Anträgen der Sicherheitsbehörden folgen bzw. sie ablehnen. Deshalb läßt sich keine Aussage darüber treffen, ob der sog. Richtervorbehalt als verfahrensmäßige Sicherung gegenüber Telefonüberwachungsmaßnahmen in Strafverfahren überhaupt eine nennenswerte (sichernde) Filterfunktion ausübt. Dem steht die Praxis in den Vereinigten Staaten gegenüber, wo - übrigens vom Volk gewählte - Richterinnen und Richter über die Zahl und Wirksamkeit der von ihnen erlassenen Abhöranordnungen regelmäßig in öffentlichen Berichten (wiretap reports) Rechenschaft ablegen müssen.
Die wenigen vorliegenden Informationen zeigen allerdings zweierlei: die Zahl der Überwachungsanordnungen hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen (bundesweit wurden 1997 mehr als doppelt soviel Überwachungen angeordnet als 1995). Zum anderen wird deutlich, dass sich Überwachungsmaßnahmen keineswegs nur gegen Verdächtige, sondern mindestens genauso oft gegen unverdächtige Dritte richten, mit denen oder von deren Anschluss aus die Verdächtigen nach Ansicht der Ermittlungsbehörden telefonieren könnten. Jede Überwachungsmaßnahme in Kommunikationsnetzen erstreckt sich zwangsläufig auch auf andere Personen als nur die Verdächtigen. Wer aber weiss schon, dass die Telefonverbindung mit einer Person besteht, gegen die wegen einer bestimmten Straftat ermittelt wird?
- Betrieb von Telekommunikationsnetzen verpflichtet zur geheimen Zuträgerschaft
Neben der Ausweitung der materiell-rechtlichen Überwachungsbefugnisse hat der Gesetzgeber in den letzten Jahren zahlreiche Vorschriften erlassen, die die lückenlose technische Überwachbarkeit der Telekommunikation möglichst unter allen Umständen und insbesondere auch in einem liberalisierten Telekommunikationmarkt sicherstellen sollen.
So verpflichtet die Fernmelde-Überwachungsverordnung von 1995 jede Person, die eine für den öffentlichen Verkehr bestimmte Fernmeldeanlage betreibt, angeordnete Überwachungsmaßnahmen mit entsprechenden technischen Schnittstellen umzusetzen und dabei nicht nur den Inhalt der übermittelten Nachrichten unverschlüsselt bereitzustellen, sondern auch Informationen über die näheren Umstände der Telekommunikation, also die angerufene Zielnummer, Beginn und Ende der Verbindung oder des Verbindungsversuchs, Art des genutzten Dienstes und bei Mobilfunkanschlüssen auch die Funkzellen (die Standorte), über die die Verbindung abgewickelt wird.
Auch das Telekommunikationsgesetz von 1996 verpflichtet alle, die Telekommunikationsanlagen (bisher: Fernmeldeanlagen) betreiben, angeordnete Überwachungsmaßnahmen jederzeit umzusetzen. Dabei sind unter Telekommunikationsanlagen nach der weiten gesetzlichen Definition alle "technischen Einrichtungen oder Systeme" zu verstehen, "die als Nachrichten identifizierbare elektromagnetische oder optische Signale senden, übertragen, vermitteln, empfangen, steuern oder kontrollieren können."
Der 11. Teil des Telekommunikationsgesetzes regelt sowohl das Fernmeldegeheimnis als auch die Pflicht zur Beteiligung an Überwachungsmaßnahmen. Zu Recht hat der Gesetzgeber den Anwendungsbereich des Fernmeldegeheimnisses nach dem Wegfall des Postmonopols auf alle Unternehmen und Personen erstreckt, die Telekommunikationsdienste erbringen, um die Vertraulichkeit der Telekommunikation auch in einem liberalisierten Markt auf demselben Niveau zu gewährleisten wie bisher. Dass der Gesetzgeber aber in diesem Zusammenhang im gleichen Atemzug auch alle, die geschäftsmäßig Telekommunikation anbieten, also selbst diejenigen, die Nebenstellenanlagen z. B. in Krankenhäusern und Hotels betreiben, zur Umsetzung von Überwachungsmaßnahmen verpflichtet, führt zu einem weit über den bisherigen Zustand unter Monopolbedingungen hinausreichenden Grad an Überwachbarkeit und ist unverhältnismäßig. Erfaßt werden nun alle, die Telekommunikationsanlagen betreiben; ausreichend ist z. B. schon, dass in einem Betrieb oder einer Behörde den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erlaubt wird, die Nebenstellenanlage oder das interne Netz auch für private Zwecke zu nutzen. Die Nebenfolge dieser Bestimmung ist nicht nur, dass die genannten Stellen ihre Telekommunikationsanlage nur in Betrieb nehmen dürfen, wenn sie abhörfähig und entsprechend getestet ist, sondern dass sich mit dem Kreis der Mitwirkungspflichtigen auch das Risiko für illegale Abhörmaßnahmen erweitert.
Das Begleitgesetz zum Telekommunikationsgesetz von 1997 hat diese erweiterten Mitwirkungspflichten auch in die Abhörbestimmungen nach dem G-10 und §§ 100a ff StPO aufgenommen und die Überwachungsmöglichkeiten auf E-Mail-Adressen, IP-Nummern und Internet-Namen erstreckt.
Das Bundeswirtschaftsministerium legte 1998 den Entwurf für eine Nachfolgeverordnung für die Fernmeldeüberwachungsverordnung, die sog. Telekommunikationsüberwachungsverordnung (TKÜV) vor, der die Einrichtung von permanenten Schnittstellen für die jederzeitige zeitgleiche Überwachung jeder Kommunikationsverbindung vorsah. Zugleich sollte eine Technische Richtlinie "Internet" die Einzelheiten der Internet-Überwachung regeln. Beide Entwürfe wurden nach einhelliger Kritik aus der Wirtschaft und von seiten der Datenschutzbeauftragten im vergangenen Jahr zurückgezogen. Neuere Überlegungen des Bundeswirtschaftsministeriums für eine Telekommunikationsüberwachungsverordnung zeigen zwar, dass der Umfang der Überwachungsverpflichtungen begrenzt werden soll. Mit Hilfe von Ausnahmeregelungen auf der Verordnungsebene ist das Problem der überschießenden gesetzlichen Überwachungsbefugnisse aber nicht zu lösen. Das Telekommunikationsgesetz selbst muss geändert werden.
- Bundesweiter Zugriff auf Kundendateien
Darüber hinaus verpflichtet das Telekommunikationsgesetz von 1996 alle, die geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste anbieten, also nicht nur lizenzpflichtige Telefongesellschaften wie die Telekom und ihre Wettbewerber, sondern nach dem Wortlaut des Gesetzes auch jedes Unternehmen, das Inhouse-Netze und Nebenstellenanlagen z.B. in Krankenhäusern und Hotels betreibt, "Kundendateien" zu führen, auf die die Sicherheitsbehörden jederzeit online und unbemerkt über die Regulierungsbehörde zugreifen dürfen. Der Sinn dieser Vorschrift bestand ursprünglich darin, in einem liberalisierten Telekommunikationsmarkt den Sicherheitsbehörden die Feststellung zu ermöglichen, bei welcher Telefongesellschaft eine verdächtige Person Kundin oder Kunde ist, um den zu überwachenden Anschluss identifizieren zu können. Das Gesetz ist aber in diesem Punkt so blankettartig formuliert, dass es auch die Nutzung der bei der Regulierungsbehörde vorliegenden Kundendateien als bundesweites Adress- und Einwohnerregister zulässt, ohne dass die so gewonnenen Informationen zur Überwachung des Telekommunikationsverkehrs genutzt werden müssen. Noch 1990 hatte der Einigungsvertrag aus guten Gründen - nicht nur wegen der Querverbindung zur Staatssicherheit - die Auflösung des Zentralen Einwohnerregisters der ehem. DDR vorgeschrieben. Ungeklärt ist im übrigen, wie die Kundendateien gegen Hackerangriffe wirksam geschützt werden können.
- Überwachungsvorschrift aus der analogen Telefonwelt wiederbelebt
Hinzu kommt, dass der aus der Zeit des analogen Telefonverkehrs stammende § 12 Fernmeldeanlagengesetz nach wie vor in Kraft ist. Er erlaubt den Sicherheitsbehörden unter relativ einfachen Voraussetzungen den Zugriff auf Daten über die Telekommunikation, obwohl seit der Digitalisierung der Telekommunikation ein wesentlich umfangreicherer und aussagekräftigerer Datenkranz bei den Unternehmen, die Telekommunikation anbieten, gespeichert wird. Er entspricht nicht den Voraussetzungen, die das Bundesverfassungsgericht für Einschränkungen des Fernmeldegeheimnisses verlangt. Obwohl eine Einschränkung von § 12 FAG bei der Verabschiedung des TKG in Aussicht gestellt wurde, steht zu befürchten, dass seine Weitergeltung nach Ablauf der Frist Ende 1999 beschlossen wird.
- Europäische Überwachungsstruktur im Aufbau (ENFOPOL)
Auch auf europäischer Ebene wird an einer Intensivierung der Kommunikationsüberwachung gearbeitet. Die Ratsarbeitsgruppe "Polizeiliche Zusammenarbeit" hat unter der Bezeichnung "ENFOPOL 98" Vorschläge für eine Entscheidung des Rates zur "Überwachung des Telekommunikationsverkehrs in bezug auf neue Technologien" erarbeitet, die lange Zeit der Öffentlichkeit vorenthalten wurden. Hauptziel dieser Vorschläge ist es vordergründig, die Überwachungsmöglichkeiten der Polizei den neuen Technologien wie z.B. der Satellitentelefonie anzupassen. Zugleich sollen aber technische Überwachungsmöglichkeiten auf europäischer Ebene verabredet werden, für deren Ausnutzung zumindest in der Bundesrepublik die materielle Rechtsgrundlage fehlt. So verlangen die Sicherheitsbehörden in der Bundesrepublik bei Mobilfunkgesellschaften den Zugriff auf Personalien solcher Kundinnen und Kunden, die mit den immer populäreren datenschutzfreundlichen Guthabenkarten telefonieren wollen. Diese Forderung der Sicherheitsbehörden ist ebensowenig nach dem Telekommunikationsgesetz gerechtfertigt wie es die Forderung nach einer Identifizierung all der Personen wäre, die bei der Telekom Telefonkarten für das Festnetz kaufen. Auch wenn der Europäische Rat die Entscheidung über diese Vorschläge im Mai 1999 noch vertagt hat, besteht zwischen den Regierungsvertretern in der Sache offenbar bereits Einigkeit.
Sowohl national wie auf europäischer Ebene tragen technische Überwachungsvorschriften auch dann zum Aufbau einer Überwachungsmentalität bei, wenn sie nur unter den materiellen gesetzlichen Voraussetzungen z.B. nach der Strafprozessordnung genutzt werden dürfen. Weil eine Überwachung der Telekommunikation technisch immer einfacher und umfassender möglich ist, sinkt das Rechtsbewußtsein für die Schwere des Rechtseingriffs. Dies lässt - weil technisch leicht umsetzbar - den Eingriff in das Fernmeldegeheimnis auch völlig Unverdächtiger als weniger gravierend erscheinen. Außerdem droht eine Absenkung des Schutzes der vertraulichen Telekommunikation über europäisch harmonisierte Überwachungsstandards, weil in sie auch die Rechtsvorstellungen von Ländern in Europa eingehen, in denen das Fernmeldegeheimnis keinen vergleichbar hohen Stellenwert hat wie in der Bundesrepublik.
- Erweiterte Rolle der "Dienste"
Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass der Telekommunikationsverkehr offenbar auch von in- und ausländischen Geheimdiensten überwacht wird. Dabei spielt neben dem klassischen Aufgabenfeld dieser Dienste die Wirtschaftsspionage eine immer größere Rolle. Gleichzeitig ist eine Aufweichung des traditionell in der Bundesrepublik geltenden und von den Alliierten vor dem Hintergrund historischer Erfahrungen eingeführten Trennungsgebots zu beobachten. Danach sind Aufgaben und Mittel der Strafverfolgungs- und Polizeibehörden von den Aufgaben und Methoden der Geheimdienste im Interesse einer rechtsstaatlichen Kontrolle strikt zu trennen. Gerade im Bereich der Telekommunikationsüberwachung dürfen Polizei und Staatsanwaltschaft nicht zum verlängerten Arm des Verfassungsschutzes oder anderer "Dienste" werden. Umgekehrt hat das Bundesverfassungsgericht den Informationsfluss vom Bundesnachrichtendienst zu den Strafverfolgungsbehörden bei der verdachtslosen Rasterfahndung in der grenzüberschreitenden Telekommunikation an enge Voraussetzungen geknüpft und dem Gesetzgeber aufgegeben, einen verfassungskonformen Zustand herzustellen.
III. Forderungen
Vor diesem Hintergrund fordern die Datenschutzbeauftragten Berlins, Bremens, Nordrhein-Westfalens, Schleswig-Holsteins sowie der Datenschutz- und Informationszugangsbeauftragte Brandenburgs eine grundlegende Änderung der deutschen Kommunikationspolitik. Nicht der unbedingte Wille, nirgendwo "abhörfreie Zonen" entstehen zu lassen, sondern der aktive Schutz des Grundrechts der Bürgerinnen und Bürger auf freie und unbeobachtete Telekommunikation müssen im Vordergrund stehen. Deutschlands Weg in die Informations- und Kommunikationsgesellschaft ist rechtsstaatlich und demokratisch nur zu verantworten, wenn er mit klaren Garantien für die Grundrechte verbunden ist.
Der Bundesgesetzgeber muss über die vom Bundesverfassungsgericht angeordnete Modifikation des G-10-Gesetzes hinaus ein Gesetz zur Sicherung der freien Telekommunikation verabschieden. Grundlage muss eine Evaluierung der bisherigen Eingriffe in das Telekommunikationsgeheimnis sein. Mit ihrer Hilfe sind die bestehenden, in den vergangenen Jahren ständig erweiterten Überwachungsbefugnisse der Strafprozessordnung, des G-10 sowie des Außenwirtschaftsgesetzes auf ihre Notwendigkeit nach objektiven Kriterien zu prüfen.
Folgende Maßnahmen sind unverzichtbar:
- Verpflichtung zur Datensparsamkeit und Datenvermeidung
Je weniger Daten personenbezogen verarbeitet werden, desto geringer sind die Eingriffsmöglichkeiten. Wer Angebote zur Telekommunikation macht, sollte ausserdem verpflichtet werden, den Kundinnen und Kunden eine Option zur anonymen Nutzung des Telekommunikationsnetzes (z.B. durch Einsatz von Guthabenkarten auch bei häuslichen Festnetzanschlüssen) zur Verfügung zu stellen. Hilfreich könnte hierfür die Einführung der Möglichkeit sein, förmliche Audits zur Bewertung besonders datenschutzfreundlicher Telekommunikationsdienste durchzuführen.
- Verschlüsselung als Standardleistung anbieten
Wer Telekommunikation anbietet, sollte verpflichtet werden, kostenlos Verschlüsselungmöglichkeiten als Universaldienstleistung anzubieten, ohne dass damit die generelle Verpflichtung zur Bereitstellung von Abhörschnittstellen für die Polizei und die Geheimdienste verbunden ist.
- "Mediennutzungsgeheimnis" einführen
In das Teledienstedatenschutzgesetz des Bundes (und entsprechend auch in den Mediendienstestaatsvertrag der Länder) sollte ein ausdrückliches Mediennutzungsgeheimnis aufgenommen werden, um die verfassungsrechtliche Ausstrahlungswirkung des Kommunikationsgeheimnisses nach Artikel 10 GG auf einfachgesetzlicher Ebene klarzustellen. Ebensowenig wie Zeitungsleserinnen und -leser es hinnehmen müssen, dass registriert wird, welche Zeitung sie in Papierform täglich lesen, ist eine Überwachung ihrer Medienpräferenz akzeptabel, wenn sie die Zeitung im Internet (als "webzine") liest.
- Mitwirkungspflichten bei Abhörmaßnahmen begrenzen
Die Pflicht zur Durchführung von staatlichen Überwachungsmaßnahmen muss durch Änderung des Telekommunikationsgesetzes und der entsprechenden Begleitgesetze auf diejenigen begrenzt werden, die öffentliche, lizenzpflichtige Telekommunikationsdienste erbringen. Nebenstellenanlagen in Hotels, Betrieben und Krankenhäusern usw. wären dann ausgenommen.
- Überwachungsbefugnisse evaluieren
Überwachungsmassmahmen bei der Telekommunikation müssen erstmals einer echten Effektivitätskontrolle unterzogen werden, auf deren Grundlage der Gesetzgeber ständig die Notwendigkeit der Beibehaltung bestimmter Befugnisse zu Eingriffen in das Kommunikationsgeheimnis in bestimmten Zeitabständen überprüfen sollte. Die gegenwärtig vorgeschriebene Geheimhaltung der entsprechenden Statistiken (§ 88 Abs.5 Satz 3 TKG) ist nicht länger zu rechtfertigen.
- Datenschutzfreundliche Techniken fördern
Die Bundesregierung wird aufgefordert, die Bürgerinnen und Bürger beim Schutz ihres Telekommunikationsgeheimnisses gegen illegales Abhören durch in- oder ausländische private Dritte zu unterstützen. Hierfür kommt in Betracht:
- Der verstärkte Mitteleinsatz für die Erforschung und Entwicklung datenschutzfreundlicher Telekommunikationstechniken im Netz- und im Endgerätebereich.
- Die Förderung von Tests auf Praktikabilität und Wirksamkeit entsprechender Techniken und ihrer kundenfreundlichen Markteinführung.
- Berufliche Schweigepflichten wirksam schützen
Die Bundesregierung wird aufgefordert, eine geschlossene Konzeption für den besonderen Schutz der Telekommunikation von Berufsgruppen, die besonderen Verschwiegenheitspflichten unterliegen wie Ärztinnen und Ärzte, Anwältinnen und Anwälte, Psychologinnen und Psychologen usw. vorzulegen.
- Strafrechtlichen Schutz des Kommunikationsgeheimnisses endlich ernst nehmen
Die Bagatellisierung von Straftaten gegen den Schutz der Privatsphäre ist zu beenden, z. B. durch:
- stärkere polizeiliche Prävention gegen illegales Abhören
- die Prüfung eines Verbots des freien Verkaufs von Abhörtechnik
- eine Effektivierung der Strafverfolgung im Bereich illegaler Abhörmaßnahmen
- die Prüfung, ob nicht ähnlich wie in anderen Bereichen Hackerangriffe straffrei bleiben sollten, wenn dabei festgestellte Sicherheitslücken in Telekommunikationsnetzen sofort angezeigt werden.
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