Memorandum
Juni 1998
Erfolgsbedingungen empirischer
Wirtschaftsforschung und empirisch gestützter wirtschafts- und sozialpolitischer
Beratung
von
Richard Hauser Johann Wolfgang Goethe-Universität,
Frankfurt am Main
Gert G. Wagner
Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung
(DIW), Berlin, Europa Universität Viadrina, Frankfurt (Oder), und
Contre for Economic Policy Research (CEPR). London
Klaus P. Zimmermann
Forschungsinstitut "Zukunft der Arbeit"
(IZA), Bonn, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität, Bonn, und
Centre for Economic Policy Research (CEPR), London
In seinen "allgemeinen Gesichtspunkten"
der Stellungnahme zu den Wirtschaftsforschungsinstituten der Blauen Liste
in den alten Ländern hat der Wissenschaftsrat im Januar 1998 festgestellt,
daß "im Zuge der Erarbeitung der vorliegenden Stellungnahmen
[...] sich Hinweise darauf ergeben [haben], daß der Status der empirischen
Wirtschaftsforschung in Deutschland - auch im internationalen Vergleich
- Anlaß zu einer Reihe von Fragen gibt und daher eine breit angelegte
Untersuchung zur Struktur, Organisation und Leistungsfähigkeit der
empirischen wirtschaftswissenschaftlichen Forschung in Deutschland notwendig
und förderlich ist. Der Wissenschaftsrat empfiehlt nachdrücklich,
diese Untersuchung möglichst bald durchzuführen
und Fragen der theoretischen Wirtschaftsforschung mit einzubeziehen, soweit
dies für den Untersuchungszweck angebracht ist. Im Anschluß
daran sollte es zu weiteren Strukturempfehlungen kommen, die auch die Wirtschaftsforschungsinstitute
der Blauen Liste einschließen".
Die Verfasser des vorliegenden Memorandums halten
es für erforderlich, daß diese Analyse und Diskussion komplementär
auch öffentlich durchgeführt wird. Zu einem zentralen Teilaspekt,
der Datenproblematik, sollen die folgenden Überlegungen beitragen.
I. Theoretische Überlegungen
Für die meisten wirtschafts- und sozialpolitischen
sowie finanzwissenschaftlichen Fragestellungen reichen rein theoretische
Modelle nicht aus, sondern politisch umsetzbare Ergebnisse bedürfen
einer empirischen Fundierung. Umgekehrt sind empirische Messungen ohne
ein theoretisches Gerüst im allgemeinen sinnlos. Empirische Wirtschaftsforschung
und Wirtschaftstheorie (einschließlich der Finanzwissenschaft) sollten
deswegen im Zusammenhang analysiert und im Hinblick auf ihre organisatorischen
Strukturen betrachtet werden.
Empirische Wirtschaftsforschung im engeren Sinne
zielt darauf ab.
- die relevanten Aspekte der wirtschaftlichen Aktivitäten
mit Hilfe von Statistiken zu beschreiben und soweit wie möglich in
quantitativer Form zu messen (deskriptive Statistik),
- aus statistischen Daten Hypothesen über Regelmäßigkeiten
[Gesetze] abzuleiten (induktive Methode).
- Verhaltenshypothesen. die auf der Basis von theoretischen
Modellen abgeleitet wurden, mit Hilfe von (vor allem) ökonometrischen
Verfahren zu testen (deduktive Methode),
- internationale Vergleiche zu allen genannten Aspekte
in deskriptiver Form anzustellen.
- die Unterschiede zwischen den Vergleichsländern
als das Ergebnis "natürlicher" Sozialexperimente zu betrachten
und auf dieser Basis die unterschiedlichen Auswirkungen verschiedener institutioneller
Ausgestaltungen der Wirtschafts- und Sozialordnung für das Verhalten
von Wirtschaftssubjekten herauszuarbeiten,
- Parameterwerte für einzelne Verhaltenshypothesen
numerisch zu schätzen und auf dieser Basis quantifizierte Prognosen
zu erarbeiten,
- komplexe Modelle, die das wirtschaftliche Verhalten
unterschiedlicher Akteursgruppen nachbilden und das Ergebnis des Zusammenwirkens
dieser Gruppen nachzeichnen, zu erarbeiten,
- mit Hilfe dieser numerisch spezifizierten Modelle
Prognosen zu erstellen, und
- mit Hilfe von Modellen Simulationsstudien über
die Auswirkungen alternativer wirtschafts-, finanz- und sozialpolitischer
Maßnahmen zu erstellen und damit empirisch gestützte Aussagen
über die positiven und negativen Konsequenzen im Hinblick auf explizit
gemachte Ziele abzuleiten.
Es ist offensichtlich, daß die Voraussetzung
für eine erfolgreiche empirische Wirtschaftsforschung das Vorhandensein
und die leichte Zugänglichkeit von möglichst vielfältigen
und möglichst weit in die Vergangenheit zurückreichenden statistischen
Daten ist.
Ebenso wie in den Naturwissenschaften ist auch bei
der empirischen Wirtschaftsforschung eine möglichst breite nationale
und internationale Konkurrenz zwischen Wissenschaftlern erforderlich, durch
die sich die verläßlicheren deskriptiven Ergebnisse und die
besseren Hypothesen durch gegenseitige Prüfung und Kritik allmählich
durchsetzen. Aus diesen Gründen ist eine gleichrangige und gleichzeitige
Zugänglichkeit von Datenbeständen für möglichst alle
mit der jeweiligen Thematik befaßten Wissenschaftler erforderlich.
Darüber hinaus sollten die Daten in einem engen Austauschprozeß
zwischen analysierenden Forschern und Daten "produzenten" erstellt
werden, um sicherzustellen, daß zu relevanten Fragen die angemessenen
Daten mit methodisch adäquaten Verfahren erhoben werden.
Es geht uns im folgenden lediglich um die Erhebung
und Verfügbarkeit der Daten für die wissenschaftliche Forschung
und nicht-kommerzielle Nutzung.
II. Organisatorische Ausgangslage
In Deutschland liegt die Verantwortung für die
Datengenerierung und -nutzung bei der amtlichen Statistik, Administrationen,
wissenschaftlichen Einrichtungen und privaten Unternehmen (insbesondere
Marktforschungsinstituten). Die amtliche Statistik ist den Innenministerien
bzw. Staatskanzleien nachgelagert bzw. sie ist Teil kommunaler und anderer
Einrichtungen (z. B. Bundesbank, Bundesanstalt für Arbeit). Öffentlich
finanzierte statistische Erhebungen gibt es außerhalb der Amtlichen
Statistik im Bereich der Ressort- und Auftragsforschung und als Teil der
Wissenschaftsförderung.
Die Erhebungsprogramme (und die zur Datenerhebung
benutzten Methoden) werden von den analysierenden Forschern je nach Datenproduzent
sehr unterschiedlich beeinflußt.
- Für die Daten der amtlichen Statistik gibt
es in der Praxis fast keinen Einfluß der Wissenschaft auf die Erhebungsprogramme;
diese Aussage gilt verstärkt für die Teile der amtlichen Statistik,
die nicht in Statistischen Ämtern, sondern in Ministerien und anderen
Einrichtungen geführt werden (z. B. Finanzministerium. Bundesanstalt
für Arbeit. Bundesbank, Verband Deutscher Rentenversicherungsträger).
- Statistische Basisdaten, die mit öffentlichen
Mitteln im Rahmen der Ressort- und Auftragsforschung erstellt worden (insbesondere
auch in den Wirtschaftsforschungsinstituten), werden praktisch auch ohne
Einfluß durch Wissenschaftler erstellt, die nicht an der Erhebung
direkt beteiligt sind.
- Ein systematischer Einfluß der gesamten "Scientific
Community" auf statistische Erhebungsprogramme gibt es nur dort. wo
Daten durch wissenschaftliche Forschungsinstitutionen erhoben werden (z.
B. DFG, VW Stiftung, teilweise auch BMBF).
- Auch auf die Erstellung vieler "abgeleiteter"
Statistiken, wie insbesondere der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung
(VGR). gibt es keinen direkten Einfluß der Wissenschaft.
- Mangels professioneller Großerhebungen werden
immer wieder Erhebungen von Studenten im Rahmen von "Lehrforschung"
durchgeführt (wobei das dilettantische Verhalten von Studenten bei
Interviews zur Gefährung der Akzeptanz von statistischen Erhebungen
bei Befragten beitragen kann). Auch die Zugänglichkeit dieser Datenbestände
für die nicht-kommerzielle, empirische Wirtschaftsforschung an Universitäten
und gemeinnützigen Forschungsinstituten unterscheidet sich deutlich.
Für diese Unterschiede sind maßgeblich: (1) die Art der Finanzierung,
(2) Datenschutzbestimmungen, (3) Verhaltensweisen der Datenproduzenten,
und schließlich (4) die Verfahren der Datensammlung, Datenaufbereitung,
Datendokumontation und Datenübermittlung. die angesichts der tiefgreifenden
Änderungen bei den elektronischen Netzwerken und der Verfügbarkeit
von bisher nicht vorhandenen Rechen- und Speicherkapazitäten am Arbeitsplatz
des Wissenschaftlers einem tiefgreifenden Wandel unterliegen.
- Weitgehend ungeregelt ist der Zugang zu statistischen
Daten, die vom Staat - außerhalb der eigentlichen amtlichen Statistik
- in Ministerien und anderen Einrichtungen produziert werden.
- Der Zugang zu Daten der amtlichen Statistik ist
weitgehend geregelt, allerdings gibt es zwei grundsätzliche
Probleme: (1) Mikrodaten sind zum größten Teil nicht oder nur
schwer zugänglich; dies gilt insbesondere für die nur schwer
anonymisierbaren Betriebs- und Unternehmensdaten der Wirtschaftsstatistik.
Mit den vom BMBF finanzierten "Scientific Use Files" für
einige Stichproben der Bevölkerungsstatistik gibt es allerdings eine
neue Entwicklung für den regelhaften Zugang zu anonymisierten Mikrodaten;
(2) aggregierte Daten, z. B. der VGR, sind regelhaft zugänglich, insbesondere
sind auch die Veröffentlichungszeitpunkte allgemein bekannt, jedoch
ist für Außenstehende nicht klar, ob und wann Statistische Ämter
vorläufige Daten und Sonderauswertungen zur Verfügung stellen.
Manchmal führt dies dazu. daß Wissenschaftler den Eindruck gewinnen,
daß Daten willkürlich herausgegeben oder zurückgehalten
werden.
- Weitgehend ungeregelt ist auch der Zugang zu Daten,
die mit öffentlichen Mitteln außerhalb der amtlichen Statistik
erhoben werden. Zwar werden viele Erhebungen dem "Zentralarchiv für
empirische Sozialforschung" in Köln übergeben, oder die
Daten werden von den Produzenten direkt zugänglich gemacht, aber es
ist oft zufällig, ob und wie dies geschieht. Nur wenige Wissenschaftsförderungsorganisationen
knüpfen die Finanzierung einer Erhebung an die explizite Verpflichtung,
diese rasch für Re-Analysen zugänglich zu machen. Vorbildlich
ist hier beispielsweise die DFG.
Zu obigen Punkten nimmt das Memorandum im folgenden
Stellung, um die Verantwortlichen zu einer den neuen wissenschaftlichen
Entwicklungen entsprechenden Gestaltung der statistischen Infrastruktur
aufzurufen und damit die Erfolgsbedingungen für die empirische Wirtschaftsforschung
und empirisch gestützte Politikberatung zu verbessern.
III. Datentypen und Datenschutz
Vorweg ist festzustellen, daß sich die empirische
Wirtschafts- und Sozialforschung in dem oben beschriebenen Sinn nicht für
identifizierbare Einzelfälle, sondern lediglich für anonyme Untersuchungseinheiten,
für nach bestimmten Kriterien zusammengefaßte Gruppen von Untersuchungseinheiten
und für statistische Regelmäßigkeiten interessiert. Individualisierte
Fallstudien liegen außerhalb ihres Untersuchungsbereichs; dementsprechend
sind die Probleme des Datenschutzes und der Datenzugänglichkeit auch
nur für diese begrenzte statistische Nutzung zu klären.
Aus der Sicht des Datenschutzes lassen sich die für
die empirische Wirtschaftsforschung erforderlichen Daten in zwei Klassen
einteilen:
1. In Tabellenform oder summarisch zusammengefaßte
Daten, wie sie etwa in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, in Finanzstatistiken
der Deutschen Bundesbank oder in Bevölkerungsstatistiken des Statistischen
Bundesamtes vorliegen.
2. Einzeldaten von Personen. Haushallen, Unternehmen,
Betrieben, Organisationen und staatlichen Organen.
Die erste Kategorie bietet keine datenschutzrechtlichen
Probleme, sofern in den Tabellen eine genügende Anzahl von Untersuchungseinheiten
zusammengefaßt sind und nur Durchschnitte oder Summen ausgewiesen
werden. Für diese Daten bestehen lediglich die Probleme
- einer nutzerfreundlichen Information über
die verfügbaren aggregierten Daten und Zeitreihen.
- der Standardisierung der Konzepte, der korrekten
Erfassung und der Vergleichbarkeit in der zeitlichen, regionalen und internationalen
Dimension,
- der verläßlichen (regelgebundenen) und
schnellen Zugänglichkeit am Arbeitsplatz des Wissenschaftlers (Dazu
gehören auch Regeln, wie und wann
vorläufige Daten herauszugeben sind; es stehen
inzwischen auch Computeralgorithmen zur Verfügung [Statistical Disclosure
Control], die das automatische, d.h. rasche Prüfen und ggf. eine geeignete
Aggregation dünn besetzter Zellen vornehmen). Diese Punkte werden
im Memorandum unten nochmals aufgegriffen.
Die zweite Kategorie der Einzeldaten ist in individualisierter
Form (mit Identifikationsmerkmalen wie Name, Adresse, Telefonnummer) aus
Datenschutzgründen grundsätzlich nicht zugänglich. Im Hinblick
auf den Charakter der Information lassen sich folgende Typen von Datensätzen
unterscheiden:
- Einmalige Querschnittserhebungen;
- Zeitreihen von Querschnittserhebungen, wobei im
Prinzip jeweils unterschiedliche Untersuchungseinheiten die Informationen
liefern;
- Wiederholungsbefragungen derselben Untersuchungseinheiten
(Panels), die über einen kürzeren oder längeren Zeitraum
fortgeführt werden.
Wenngleich Querschnittserhebungen und Zeitreihen
von gleichartigen Quer-schnittserhobungen seit vielen Jahrzehnten eine
unverzichtbare Basis für die empirische Wirtschaftsforschung darstellen,
haben sich in den vergangenen beiden Dekaden doch Panelerhebungen von Mikrodaten
als besonders fruchtbare Informationsquellen für viele Fragestellungen
erwiesen, die mit Querschnittsdaten nicht geklärt werden konnten.
Gerade auf diesem Gebiet vollzieht sich zur Zeit ein besonders schneller
wissenschaftlicher Fortschritt, da hiermit die Reaktionen von Untersuchungseinheiten
auf Änderungen der Einflußgrößen wesentlich besser
analysiert werden können.
Auch mit Daten, die im Verwaltungsprozeß anfallen
und die überdies mit Umfragedaten kombiniert werden können, sind
bereits vielversprechende Untersuchungen angestellt worden. Auf diesem
Feld liegen ebenfalls große, bisher nicht ausgeschöpfte Möglichkeiten
für die empirische Wirtschaftsforschung.
Es sind in den in den vergangenen beiden Jahrzehnten
verschiedene Verfahren entwickelt worden, jene Informationen, die die empirische
Wirtschaftsforschung braucht, zur Verfügung zu steifen, ohne daß
eine Identifizierung des Merkmalsträgers erfolgen kann. Diese Vorfahren
sind im Statistikgesetz abgesichert. Dabei handelt es sich um
- Verfahren der absoluten Anonymisierung und um
- Verfahren der faktischen Anonymisierung.
Auf dieser Basis konnten inzwischen große amtliche
Stichproben von Personen und Haushalten (Einkommens- und Verbrauchsstichproben,
Mikrozensus) an wissenschaftliche Nutzer weitergegeben werden. In diesem
Zusammenhang bestehen aber noch die Probleme
- der Kontinuität der Weitergabe,
- der Beschleunigung des Weitergabeverfahrens,
- die Standardisierung der Datenweitergabe, um die
Installationskosten der interessierten Wissenschaftler möglichst gering
zu halten,
- der Kostenübernahme für die faktische
Anonymisierung,
- einer verbesserten Dokumentation der Erhebungs-
und Aufbereitungsarbeiten durch das Statistische Bundesamt,
- der Beratung bei Datenproblemen über die Dokumentation
hinaus und einer Rückkoppelung zur Verbesserung der Erhebungsinstrumente
und der Datenaufbereitung,
- der Kooperation zwischen Statistischem Bundesamt
und der Wissenschaft bei der Datenprüfung und -bereinigung,
- der Regelung der Einflußnahme auf die Erhebungsprogramme
durch die Wissenschaft, um die theoretisch relevanten Phänomene und
Kausalfaktoren besser erfassen zu können, und schließlich
- der Ausdehnung der Weitergabeverfahren auf andere
Träger von Datenerhebungen und Besitzer von mit Öffentlichen
Mitteln beschafften Einzeldatenbeständen.
Es gibt auch Einzeldatensätze für Untersuchungseinheiten,
insbesondere Unternehmen, Organisationen und staatliche Stellen, die sich
nicht faktisch anonymisieren lassen, weil die Anzahl der jeweiligen Merkmalsträger
so gering ist, daß sie bereits mit wenigen Zusatzinformationen identifiziert
werden können oder daß zumindest einige herausragende Merkmalsträger
identifiziert werden können. Beispiele wären Arbeitsstättenzählungen.
Betriebspaneis, u. ä. Um diese Einzeldaten für die empirische
Wirtschaftsforschung zugänglich zu machen, bedarf es anderer Verfahren,
wie beispielsweise die sanktionsbewehrte Verpflichtung zur vertraulichen
Behandlung von Einzeldaten durch den Forscher oder die temporäre Beschäftigung
bei einem Datenbesitzer mit entsprechender Verpflichtung zur Wahrung der
Vertraulichkeit.
IV. Thesen zur Finanzierung und Organisation
1. Daten können mehrfach eingesetzt werden.
Ihre Produktionskosten lohnen sich häufig nur, wenn sie in vollem
Umfang genutzt werden. Ein freier Markt wird dieses Produkt nur in unzureichendem
Umfang anbieten. Statistische Daten sind quasi "öffentliche Güter",
die öffentlich finanziert werden müssen - was einen regulierten
Wettbewerb bei der Produktion dieser Daten freilich keineswegs ausschließt.
Eigentümer ist die Gesellschaft, die die Daten nur aus organisatorischen
Gründen in den Besitz unterschiedlicher Institutionen gibt.
2. Die Daten der amtlichen Statistik sind offensichtlich
alle Öffentliche Güter in diesem Sinne.
3. Die Daten der öffentlichen Verwaltung, die
für die administrative Vorgänge erhoben werden oder dabei anfallen
(Steuerdaten, Daten im Bereich des Arbeitsmarktes und des sozialen Sicherungssystems),
sind ebenfalls öffentliche Güter; diese Daten sollten unter Mitarbeit
von unabhängigen Wissenschaftlern soweit wie dies wissenschaftlich
sinnvoll und datenschutzrechtlich möglich ist, als anonymisierte Datensätze
aufbereitet und ebenfalls soweit wie möglich in geeigneter Form der Wissenschaft
zur Verfügung gestellt werden.
4. Sofern die Datenproduktion direkt oder indirekt
über Forschungsförderungsinstitutionen mit öffentlichen
Mitteln erfolgte, sollten die Daten allen Wissenschaftlern auf Anforderung
gegen einen geringen Kostenbeitrag zur Verfügung gestellt werden.
5. Für internationale Datenbasen sind geeignete
Finanzierungsformen zu finden.
6. In Deutschland ist zu prüfen, ob die Anbindung
der Amtlichen Statistik an die Innenministerien bzw. Staatskanzleien, sowie
die "Auslagerung" von Amtlicher Statistik in Ministerien, die
Bundesbank, die Bundesanstalt für Arbeit und in einige Verbände
optimal ist. Generell sind eine Trennung der Datenproduktion von politischen
Bürokratien in unabhängige Institutionen mit wissenschaftlichen
Beiräten und eine Dezentralisierung zweckmäßig.
V. Thesen zur Festlegung von Erhebungsprogrammen
1. Die Erhebungsprogramme für öffentlich
relevante statistische Daten müssen von den Vertretern der Öffentlichkeit
zusammen mit unabhängigen Fachwissenschaftlern (für Erhebungsmethoden
und Analysen) entwickelt werden.
2. Es ist nicht nur für die Erhebungen der Amtlichen
Statistik im engeren Sinne notwendig, daß Erhebungsprogramme von
der Öffentlichkeit und den Fachwissenschaften beeinflußt werden
können, sondern auch für Prozeßstatistiken und für
Erhebungen, die im Rahmen der Ressortforschung, in öffentlich finanzierten
Instituten und in Form von Öffentlich finanzierten Aufträgen
erhoben werden.
3. Fachbeiräte sind nützliche Instrumente,
um die Mitwirkung der Öffentlichkeit und der Wissenschaft bei der
Festlegung von Erhebungsprogrammen zu sichern.
VI- Thesen zur Beherrschung von Datenschutzproblemen
1. Die Möglichkeiten der "faktischen Anonymisierung"
von statistischen Mikrodaten müssen konsequent genutzt werden. Sub-Sampling
(also die Weitergabe einer Unterstichprobe der ursprünglich erhobenen
Daten) ist eine wirksame Strategie, um Datenschutz einzuhalten, ohne daß
dadurch Ergebnisse verzerrt worden. Hinzu kommen Möglichkeiten, Variablen
verzerrungsfrei zu vergröbern und die Möglichkeit, besonders
sensitive Variablen nicht zugänglich zu machen (z. B. feinräumige
Regionalinformationen). Letztgenannte Methoden verzerren zwar keine Ergebnisse,
machen jedoch oft aussagekräftige Untersuchungen unmöglich.
2. Insoweit die faktische Anonymität von Mikrodaten
nur herstellbar ist, indem wesentliche Variablen vergröbert oder nicht
weitergegeben werden, müssen Datenproduzenten, die mit öffentlichen
Mitteln arbeiten, verpflichtet werden. die Arbeit mit sensitiven Daten
innerhalb ihrer Institutionen zu ermöglichen;
dazu gehören ggf. auch "Filialen"
dieser Einrichtungen, die in der Praxis den Zugang wesentlich erleichtern
können. Insoweit aus Datenschutzgründen nur Mitarbeiter einer
Einrichtung mit bestimmten Daten arbeiten dürfen, müssen entsprechende
Anstellungsverträge auch für "One-Dollar-Persons" ermöglicht
werden (Fellowship-Programme nach US-amerikanischem Muster).
3. Darüber hinaus ist zu prüfen, ob die
Ökonometrie- und Statistik-Ausbildung in den Universitäten derart
professionalisiert werden kann, daß für Wissenschaftler ein
bindender Ethik-Code zur Wahrung des Datengeheimnisses etabliert werden
kann (ähnlich wie für Ärzte. Rechtsanwälte usw.). der
bei Nicht-Einhaltung zum Entzug der "Lizenz" für empirisches
Arbeiten führt. Ein derartiger Wissenschaftler-Ethik-Code muß
mit entsprechenden rechtlichen Rahmenbedingungen verbunden werden, die
sicherstellen, daß für übergeordnete staatliche Zwecke
das "Statistik-Geheimnis" nicht gebrochen werden kann. Bei einer
derartigen Entwicklung muß beachtet werden, daß sie nicht zu
einer Verknappung der entsprechend lizenzierten Wissenschaftlern führt,
indem Marktzutrittsbarrieren errichtet werden, um der
Zunft allokaliv ungerechtfertigte Einkommensvorteile zu sichern.
VII. Thesen zum Ausbau der Infrastruktur
• Thesen zur ersten Datenkategorie (aggregierte
Daten)
1. Sichergestellt werden muß eine regelgebundene
Verfügbarkeit aggregierter Ergebnisse. Die Regelgebundenheit gilt
auch für vorläufige Daten und Sonderauswertungen. Zumindest die
endgültigen Daten sollten on-line zur Verfügung gestellt werden,
und zwar sowohl nationale Daten als auch die von internationalen Organisationen
gesammelten und aufbereiteten Daten
2. Gegebenenfalls ist die Einrichtung einer deutschen
Clearingstelle notwendig, die alle Daten beschafft und den Bestand pflegt,
sofern das Statistische Bundesamt diese Aufgabe nicht übernimmt.
3. Um Zugangshürden abzubauen (insb. für
Universitätsinstitute, die nicht permanent mit bestimmten Daten arbeiten)
ist für die Wissenschaft eine Standardisierung des Datenzugangs notwendig,
verbunden mit geringen Gebühren oder Kostenbefreiung.
• Thesen zur zweiten Datenkategorie (Mikrodaten)
4. In Zusammenarbeit mit den Forschungsförderungseinrichtungen
(insb. der DFG) sollten zügig Fellowship-Programme eingerichtet werden,
die das Arbeiten mit nicht oder nur schwer anonymisierbaren Mikrodaten
bei den datenerhebenden Einrichtungen, die die datenschutzrechtliche Verantwortung
tragen.
5. Um Zugangshürden abzubauen (insb. für
Universitätsinstitute, die nicht permanent mit bestimmten Daten arbeiten)
ist für die Wissenschaft eine Standardisierung des Zugangs zu Mikrodaten
(amtlicher und nicht-amtlicher Art) mit geringen Kosten oder Kostenbefreiung
notwendig.
6. Ein weiterer Schritt wäre die Einrichtung
einer CIearingstelle, die in regelhafter Weise Informationen über
sämtliche Einzeldatenbestände und die jeweiligen Dokumentationen
bereithält und die on-line konsultiert werden kann;
über die Weiterentwicklung dieser Clearingstelle
zu einer Datenbeschaffungsagentur für die empirische Wirtschaftsforschung
sollte nachgedacht werden.
7. Es muß geprüft werden, wie getrennt
erstellte statistische Datenbasen in datenschutzrechtlich einwandfreier
Weise zusammengeführt werden können ("Link", z.B. von
Firmen- und Bevölkerungsinformationen). Unter Umständen können
Clearing-Stellen auch für diesen Zweck nützlich sein.
8. Geprüft werden sollte unter datenschutzrechtlichen
Gesichtspunkten die Möglichkeit des "Femrechnens" für
nicht anonymisierbare Datenbestände mit entsprechenden Sicherungsmaßnahmen
gegen die Identifizierung einzelner Merkmalsträger. "Fernrechnen"
bedeutet hier Übermittlung von Auswertungsprogrammen on-line an den
Datenbesitzer und Rückgabe von geschätzten Parametewerten sowie
tabellierten Ergebnissen (unter Berücksichtigung von datenschutzrechtlich
gebotenen Mindestfallzahlen).
VIII. Thesen zum Ausbau der empirischen
Wirtschaftsforschung an den Universitäten
1. Stärkung der empirischen Wirtschaftsforschung
in den Fächern Wirtschafts- und Sozialpolilik/Finanzwissenschaft und
Statistik/Ökonometrie.
2. Einbau von Datenanalyse, Datenkritik und Datenschutz
in die mittlere Ausbildungsphase von Ökonomiestudenten.
3. Verbesserte Ausbildung an Statistikpaketen.
4. Arbeit mit echten Daten bereits im Studium, evtl.
in Zusammenarbeit mit Datenproduzenten, mit Hilfe von kleinen, hochanonymisierten
Substichproben; Verzicht auf dilettantische Primärerhebungen durch
Studenten, die d/e Akzeptanz von Erhebungen bei Befragten gefährden.
5. Vorbesserung des Datenservice an den Universitäten
für die Studenten und ausreichende Verfügbarkeit der jeweiligen
Statistikpakete und Computerkapazitäten.
6. Zugang zu Clearingstellen und "Fernrechenmöglichkeiten"
für Studenten.
IX. Aufforderung zur Diskussion
Dieses Memorandum soll zur Diskussion anregen. Diese
kann in den einschlägigen Fachzeitschriften und auf speziellen Workshops
geführt werden. Die Verfasser sind auch für direkte Stellungnahmen
dankbar. Ergebnisse dieser Diskussion könnten dann auch für die
Arbeit der Gremien des Wissenschaftsrates Gestaltungshilfen liefern.
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