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Epidemiologie und Datenschutz
Redaktion:
- Wichmann, H. E.;
- Raspe, H. H.;
- Jöckel, K. H.
für die Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Epidemiologie;
für den Arbeitskreis Wissenschaft der Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder
Die epidemiologische Forschung zielt nicht auf personenbezogene, sondern auf bevölkerungsbezogene wissenschaftliche
Aussagen. Hierbei stützt sie sich jedoch in der Regel auf personenbezogene Daten zum Gesundheitszustand der Probanden,
soziodemographische Angaben, Informationen über Risikofaktoren und oftmals medizinische Untersuchungsbefunde und
Ergebnisse aus der Analyse biologischer Materialien. Die individuellen Untersuchungsergebnisse werden üblicherweise den
Probanden mitgeteilt. Zur Durchführung der Forschungsprojekte werden vielfach Namen und Anschriften zur Kontaktaufnahme
benötigt. Darüber hinaus muß eine korrekte Zuordnung von Follow-up-Ergebnissen sowie die
Zusammenführung von Daten aus verschiedenen Quellen sichergestellt werden.
Epidemiologie und Datenschutz stehen traditionell im Spannungsfeld des Schutzes der Persönlichkeitsrechte der von der
Datenverarbeitung Betroffenen und dem wissenschaftlichen Anliegen, durch das Auswerten von Gesundheitsdaten zu wichtigen
und auf andere Weise nicht erreichbaren Kenntnissen zu gelangen.
Im Anschluß an eine Diskussion der datenschutzrechtlichen Fragen zwischen der Deutschen Forschungsgemeinschaft und dem
Arbeitskreis Wissenschaft der Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder haben Epidemiologen und
Datenschützer versucht, typische Problemfelder zu identifizieren und zu gemeinsamen Lösungsvorschlägen zu
kommen. Die folgenden Vorschläge sollen den mit Datenschutzfragen bei epidemiologischen Studien befaßten
Wissenschaftlern, Datenschützern, Ethikkommissionen, Behörden und Forschungsförderern zur Information und
Orientierung dienen, um Probleme zu vermeiden, die durch fehlende Kenntnis der datenschutzrechtlichen Vorschriften, ungeeignet
formulierte Einverständniserklärungen oder durch eine falsche oder übervorsichtige Interpretation der
Rechtsvorschriften zur Datenübermittlung für Forschungszwecke etc. bedingt sind.
Die datenschutzrechtlichen Bestimmungen finden nur Anwendung, wenn für ein Forschungsprojekt personenbezogene Daten
benötigt werden. Forschung mit anonymisierten Daten ist jederzeit ohne datenschutzrechtliche Vorgaben möglich. Ob
es sich im konkreten Fall um personenbezogene oder um anonymisierte Daten handelt, bedarf allerdings sorgfältiger
Prüfung. § 3 Abs. 7 BDSG enthält eine gesetzliche Definition des Anonymisierens. Dieser Definition
zufolge ist Anonymisieren das Verändern personenbezogener Daten derart, daß die Einzelangaben über
persönliche oder sachliche Verhältnisse nicht mehr oder nur mit einem unverhältnismäßig großen
Aufwand an Zeit, Kosten und Arbeitskraft einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person zugeordnet werden
können (sog. "faktische Anonymisierung"). Anonymisierung wird in der wissenschaftlichen bzw. datenschutzrechtlichen
Diskussion ganz überwiegend im Sinne einer faktischen Anonymisierung verstanden. Einzelangaben sind z. B. dann keine
anonymisierten Daten, wenn beim Forschungsinstitut bzw. beim Forscher lediglich eine organisatorische Trennung der Hilfsmerkmale
von den übrigen Daten vorgenommen wurde oder wenn lediglich Name und Adresse der Betroffenen weggelassen wurden und
die Betroffenen anhand der weiteren Angaben noch identifizierbar sind. Auch aggregierte Daten können nicht immer als
anonymisiert qualifiziert werden. Im Einzelfall muß eine Risikoanalyse unter Berücksichtigung insbesondere des eventuellen
Wertes der in Frage stehenden Daten für potentielle Interessenten sowie der dem Empfänger oder den potentiellen
Interessenten zur Verfügung stehenden Ressourcen (Zusatzwissen, technische Möglichkeiten der Datenverarbeitung etc.)
durchgeführt werden.
In einigen wenigen Bundesländern wird Anonymisierung im Sinne einer absoluten Anonymisierung verstanden, d.h.
Einzelangaben werden nur dann als anonym qualifiziert, wenn sie unter keinen Umständen mehr zuzuordnen sind.
Personenbezogene Daten können im Rahmen der epidemiologischen Forschung auf der Basis einer Einwilligung der Betroffenen
verarbeitet werden. Nach den datenschutzrechtlichen Regelungen muß die Einwilligung der Betroffenen bestimmte inhaltliche
und formale Voraussetzungen erfüllen, damit sie rechtswirksam ist. Insbesondere müssen die Betroffenen über die
vorgesehene Verarbeitung ihrer Daten informiert werden (Träger und Leiter des Forschungsprojekts, Zweck des
Forschungsvorhabens, Art und Weise der Datenverarbeitung, Personenkreis, der von den personenbezogenen Daten Kenntnis
erhält, Zeitpunkt der Löschung der personenbezogenen Daten etc.), damit sie die Tragweite ihrer Entscheidung erkennen
können. Die Einwilligung muß in der Regel schriftlich erteilt werden, die gesetzlichen Regelungen sehen jedoch Ausnahmen
vor. Ferner ist ein Hinweis erforderlich, daß die Einwilligung freiwillig ist, aus der Verweigerung der Einwilligung keine Nachteile
entstehen und ein Widerruf der Einwilligung möglich ist. Einzelheiten sind den jeweils einschlägigen Regelungen zu
entnehmen.
Verfügt die Forschungsstelle nicht über die Namen und Adressen der Personen, bei denen Einwilligungen eingeholt
werden sollen, und kann sie sich diese Daten aufgrund der rechtlichen Regelungen (z.B. Meldegesetz) nicht beschaffen, so kann die
Forschungsstelle die Betroffenen in der Weise kontaktieren, daß sie ihre Anschreiben, Merkblätter etc. in verschlossenen
Umschlägen der Stelle übergibt, die über die Daten verfügt, damit letztere auf die Umschläge Namen
und Adressen schreibt und die Anschreiben dann versendet. Auf diese Weise wird vermieden, daß die Daten Dritten zur
Kenntnis gelangen. Dabei sollte für die Betroffenen in dem Anschreiben eindeutig erkennbar sein, daß ihre
geschützten Daten von der Stelle, die über die Daten verfügt, nicht an die forschende Stelle weitergegeben wurden.
Das Grundgesetz gewährleistet das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Bestandteil des allgemeinen
Persönlichkeitsrechts im Sinne von Artikel 2 i.V.m. Artikel 1 Grundgesetz. Ebenso gewährleistet das
Grundgesetz die Freiheit von Wissenschaft und Forschung in Artikel 5 Grundgesetz. Diese beiden Grundrechte können
bei Forschungsvorhaben, für die - zumindest vorübergehend - personenbezogene Daten benötigt
werden, miteinander in Konflikt geraten. In dieser Situation ist es - wie auch bei anderen Grundrechtskonflikten - in erster
Linie Aufgabe des Gesetzgebers, diese potentiellen Konflikte so zu regeln, daß beide Grundrechte möglichst weitgehend
realisiert werden können. Der Gesetzgeber muß die rechtlichen Rahmenbedingungen festlegen, unter denen
personenbezogene Daten zu Forschungszwecken ohne Einwilligung der Betroffenen verwendet werden dürfen. Dabei sind auch
die besonderen Schweigepflichten wie z.B. die ärztliche Schweigepflicht i.S. der Berufsordnung und des § 203 StGB
zu beachten. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist eine Einschränkung des Rechts auf informationelle
Selbstbestimmung nur im überwiegenden Allgemeininteresse und unter Beachtung des Grundsatzes der
Verhältnismäßigkeit zulässig. Die Verarbeitung personenbezogener Daten muß für den
angestebten Zweck geeignet und notwendig sein und es darf keine Alternative geben, die die Betroffenen weniger belastet
(z.B. Anonymisierungs- bzw. Pseudonymisierungsverfahren, Einwilligung der Betroffenen).
Gesetzliche Forschungsregelungen, die das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und die Freiheit von Wissenschaft und
Forschung in diesem Sinne zuordnen, sind z.B. in Landeskrankenhausgesetzen, Meldegesetzen, im Sozialgesetzbuch X,
Krebsregistergesetzen, im Bundesdatenschutzgesetz und in Landesdatenschutzgesetzen enthalten. Entgegen dem allgemeinen
Grundsatz der Zweckbindung personenbezogener Daten können nach diesen Regelungen unter bestimmten Voraussetzungen
Daten, die zu einem anderen Zweck als wissenschaftlicher Forschung erhoben wurden, zu Forschungszwecken weiterverwendet werden.
Die Epidemiologie ist die Lehre von der Verteilung der Krankheiten und ihrer Risikofaktoren in der Bevölkerung. Aussagen
epidemiologischer Forschung betreffen nicht das Individuum, sondern eine Bevölkerungsgruppe. Daher werden
personenbezogene Daten nur für die Datenerfassung und ggf. spätere Kontaktaufnahmen sowie für die
Zusammenführung von personenbezogenen Daten aus verschiedenen Quellen benötigt.
Als wichtigste epidemiologische Studientypen sind beispielhaft anzusehen:
- Bei Querschnittserhebungen wird typischerweise einmalig eine Befragung und/oder Untersuchung von Probanden
durchgeführt. Diese werden persönlich um ihr Einverständnis gebeten. Die epidemiologische Fragestellung
umfaßt z.B. die Charakterisierung von Erkrankungshäufigkeiten in der untersuchten Bevölkerungsgruppe
oder den Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Erkrankungen und Risikofaktoren. Aus datenschutzrechtlicher Sicht sind
hier – wie auch bei den anderen Studienformen – die formalen und inhaltlichen Voraussetzungen der Einwilligungserklärung
der Betroffenen zu beachten, ferner die jeweils einschlägigen Vorschriften zur Verarbeitung und Nutzung personenbezogener
Daten durch die Forschungseinrichtungen (z.B. § 40 BDSG).
- Als zweiter Studientyp ist die Kohortenstudie zu nennen. Hierbei werden - z.B. ausgehend von einer
Querschnittstudie - wiederholt Untersuchungen an denselben Probanden durchgeführt. Für diese
Follow-up-Untersuchungen ist es erforderlich, personenbezogene Daten zu speichern, Anschriften zu aktualisieren etc.
Diese Datenverarbeitung muß von den Einwilligungserklärungen umfaßt sein. Als epidemiologische
Fragestellungen werden das Auftreten neuer Erkrankungen oder bestimmter Todesursachen im Zusammenhang mit bestimmten
Risikofaktoren bearbeitet. Im letzteren Fall ist es zusätzlich erforderlich, über Einwohnermeldeämter und
Gesundheitsämter den Vitalstatus sowie im Falle des Versterbens die Todesursache zu erheben. Als Rechtsgrundlage
hierfür kommen die gesetzlichen Forschungsregelungen oder die Einwilligung der Betroffenen in Betracht.
- Einen Spezialfall von Kohortenstudien stellen retrospektive Kohortenstudien (mit zurückverlagertem Beginn) dar,
die insbesondere im Bereich der Berufsepidemiologie häufig eingesetzt werden. Bei solchen Studien wird typischerweise
aufgrund von betrieblichen Unterlagen die Exposition gegenüber bestimmten Arbeitsstoffen am Arbeitsplatz erhoben.
Häufig interessiert das Auftreten von Krebserkrankungen oder das Versterben an bestimmten Todesursachen im Zusammenhang
mit den beruflichen Expositionen. Hierbei ist es nicht ungewöhnlich, daß die Personen selbst nicht befragt werden,
sondern daß ihre Exposition aus den betrieblichen Unterlagen bestimmt wird und die Krebserkrankung oder Todesursache durch
Auswertung eines Krebsregisters oder über Einwohnermeldeamt und Gesundheitsamt in Erfahrung gebracht wird.
Als Rechtsgrundlage für die Verarbeitung personenbezogener Daten kommen die gesetzlichen Forschungsregelungen oder die
Einwilligung der Betroffenen in Betracht.
- Als weiterer epidemiologischer Studientyp ist die Fall-Kontroll-Studie zu nennen. Hierbei werden als Fälle
Personen mit bestimmten Erkrankungen bezeichnet, die Kontrollpersonen gegenübergestellt werden. Fälle und Kontrollen
werden im Hinblick auf in der Vergangenheit liegende Risikofaktoren befragt. Häufig ist es sinnvoll, Fälle aus Registern,
z.B. Krebsregistern, einzubeziehen. Als Rechtsgrundlage kommen die gesetzlichen Forschungsregelungen, z.B. in
Krebsregistergesetzen, oder die Einwilligung der Betroffenen in Betracht.
Problem:
Personenbezogene Daten werden auf der Grundlage einer Einwilligung der Betroffenen oder einer gesetzlichen Forschungsregelung
zu einem bestimmten Zweck, d.h. für eine konkrete epidemiologische Studie, erhoben. Aus wissenschaftlicher Sicht kann es
allerdings später wichtig werden, diese Daten für die Bearbeitung neuer Fragestellungen zu nutzen, die zum Zeitpunkt
der Einwilligungserklärung der Betroffenen bzw. der Übermittlungen der Daten noch nicht bekannt waren und daher in
die Angaben zum Zweck der Verwendung der Daten nicht einbezogen wurden. Eine erneute Kontaktierung der Probanden ist
häufig nicht möglich oder wäre mit zusätzlichem hohem Aufwand und Kosten verbunden und könnte
wegen Umzug, Tod, Desinteresse etc. der Betroffenen auch zu Problemen im Hinblick auf die Repräsentativität der
Daten führen.
Lösungsansätze:
- Soweit es sich um anonymisierte Daten handelt, unterliegt eine Zweckänderung der Daten keinen rechtlichen
Beschränkungen. Die datenschutzrechtlichen Regelungen sind nicht anzuwenden. Dies gilt entsprechend für die
Verwendung biologischer Materialien.
- Es besteht die Möglichkeit, Einwilligungserklärungen so zu formulieren, daß eine eventuelle inhaltliche
Änderung bzw. Ausweitung der Fragestellungen der Studie mit umfaßt ist. Grundsätzlich muß eine
Einwilligungserklärung hinreichend bestimmt sein. Die Anforderungen an die Vollständigkeit und Präzision
der Einwilligungserklärungen können jedoch je nach der konkreten Verarbeitungssituation variieren. Bei der
Verarbeitung personenbezogener Daten für eine wissenschaftliche Studie ist eine weitere Formulierung des Zwecks vertretbar
und angemessen. Es ist die Entscheidung der Betroffenen, inwieweit sie auch eine Einwilligungserklärung mit einer weiteren
Formulierung des Zwecks der Studie unterschreiben, d.h. es handelt sich um eine Frage der Akzeptanz. Die
Einwilligungserklärung kann auch verschiedene Varianten der Verwendung der Daten enthalten, über die die
Betroffenen entscheiden.
- Bei einer Übermittlung personenbezogener Daten auf der Grundlage einer gesetzlichen Forschungsregelung ist es
vertretbar und angemessen, den Zweck der Übermittlung der Daten (d.h. die Darstellung des Forschungsvorhabens) so zu
formulieren, daß eventuelle inhaltliche Änderungen bzw. Ausweitungen der Fragestellungen der Studie mit umfaßt
sind.
- In Betracht kommt auch eine Anwendung der datenschutzrechtlichen Regelungen über die Zweckänderung
personenbezogener Daten. Die rechtlichen Voraussetzungen für eine Zweckänderung sind im Einzelfall zu prüfen.
- Verfahrensrechtliche Lösungen wie z.B. Einschaltungen von Ethikkommissionen, Datenschutzbeauftragten etc. kommen
im Regelfall nur dann in Betracht, wenn Rechtsvorschriften vorhanden sind, die grundsätzlich eine Zweckänderung
der Daten unter bestimmten Voraussetzungen zulassen, denn weder Ethikkommissionen noch Datenschutzbeauftragte können
ihre Entscheidung an die Stelle der Entscheidung der Betroffenen setzen.
Problem:
Es ist offen, in welchem Umfang die Daten nach Beendigung des Forschungsvorhabens gelöscht werden müssen.
Lösungsansätze:
- Soweit die Daten anonymisiert sind, sind die datenschutzrechtlichen Regelungen nicht anzuwenden und die weitere
Verarbeitung der Daten unterliegt keinen rechtlichen Beschränkungen.
- Werden personenbezogene Daten verarbeitet, sollte der Zeitpunkt der Löschung der personenbezogenen Daten
in dem Text der Einwilligungserklärung bzw. dem Antrag auf Übermittlung der Daten konkret benannt werden.
Ist im Einzelfall eine Speicherung anonymisierter Daten für die wissenschaftliche Nachprüfbarkeit der
Forschungsergebnisse nach ihrer Publikation nicht ausreichend. so kann eine Speicherung der personenbezogenen Daten
für einen bestimmten Zeitraum nach der Publikation der Forschungsergebnisse zur wissenschaftlichen Nachprüfbarkeit
der Forschungsergebnisse zulässig sein. Der Zeitpunkt für die Löschung der personenbezogenen Daten sollte
in der Einwilligungserklärung bzw. in dem Antrag auf Übermittlung der Daten möglichst konkret benannt werden.
Problem:
In einem Forschungsvorhaben erweist es sich als sinnvoll, anonymisierte Daten aus mehreren Studien zu poolen, d.h.
zusammenzuführen und gemeinsam statistisch auszuwerten, weil sich für viele Fragestellungen nur dadurch
ausreichend große Fallzahlen erreichen lassen. Auch eine Weitergabe von anonymisierten Daten in Form von Public Use Files
kann sinnvoll sein, um die Daten anderen Wissenschaftlern für ihre Forschung zugänglich zu machen.
Lösungsansätze:
- Grundsätzlich können anonymisierte Daten ohne rechtliche Beschränkungen weitergegeben werden.
Es muß allerdings im Einzelfall geprüft werden, ob es sich tatsächlich um anonymisierte Daten handelt und ob die
Daten auch nach der Zusammenführung mit den Daten aus den anderen Studien noch als anonymisiert qualifiziert werden
können. Eine Zusammenführung anonymisierter Daten aus mehreren Studien führt häufig dazu, daß
eine Deanonymisierung der Daten noch schwieriger wird. Im Einzelfall kann es jedoch durchaus auch die Konstellation geben,
daß anonymisierte Daten durch ihre Zusammenführung mit Daten aus anderen Studien leichter deanonymisiert werden
können und dann u.U. als personenbezogen qualifiziert werden müssen. In diesem Fall sind die datenschutzrechtlichen
Regelungen zu beachten.
- Eine Übermittlung personenbezogener Daten ist nicht in jedem Fall ausgeschlossen. Es gilt das oben unter 3.1 Gesagte entsprechend.
Problem:
Einerseits sollten in der Einverständniserklärung bzw. in dem Antrag auf Übermittlung der Daten möglichst
präzise die zu untersuchende Fragestellung, die Vorgehensweise und die an der Studie beteiligten Institutionen angegeben
werden. Andererseits kann es sich im Laufe einer Studie ergeben, daß Kooperationspartner wechseln und sich Fragestellungen
erweitern bzw. neue Fragestellungen auftauchen. Wie kann dies in der Einverständniserklärung bzw. in dem Antrag
optimal berücksichtigt werden?
Lösungsansätze:
- Die Formulierung des Zwecks der epidemiologischen Studie kann so erfolgen, daß eine evtl. inhaltliche Änderung
bzw. Ausweitung der Fragestellungen der Studie mit umfaßt ist (vgl. oben 3.1).
- Die datenverarbeitende Stelle - im Regelfall die Institution (Klinikum, Institut etc.) - muß in der
Einwilligungserklärung bzw. in dem Antrag auf Übermittlung personenbezogener Daten konkret und verbindlich benannt
werden. Aus datenschutzrechtlicher Sicht ist es von zentraler Bedeutung, daß die Verantwortlichkeit für die
personenbezogenen Daten dauerhaft klar geregelt ist und der Bürger eindeutig darüber informiert ist, an wen er sich wo
bei Auskunftsersuchen, Widerruf seiner Einwilligung etc. wenden kann. Die Namen der Kooperationspartner müssen nur dann
konkret aufgeführt werden, wenn sie mit einer eigenständigen Auswertung der personenbezogenen Daten befaßt
sind.
- Im Einzelfall ist es auch möglich, eine Klausel dahingehend aufzunehmen, daß Abweichungen von der angegebenen
Vorgehensweise und Erweiterungen der Fragestellungen nur nach Rücksprache mit dem zuständigen
Datenschutzbeauftragten bzw. der Ethikkommission erfolgen.
Problem:
Es soll eine Studie durchgeführt werden, bei der ein Abgleich verschiedener Datenbestände vorgenommen wird,
die Betroffenen jedoch zu keinem Zeitpunkt direkt kontaktiert bzw. um Einwilligung gebeten werden. Ein Beispiel hierfür ist eine
Studie, bei welcher die Expositionsbedingungen am Arbeitsplatz aus betrieblichen Unterlagen der dort tätigen
Arbeitnehmer zusammengestellt werden. Die Erhebung der aufgetretenen Erkrankungen erfolgt über vorhandene
Krankheitsregister (z.B. Krebsregister) oder über Einwohnermeldeämter und Gesundheitsämter zur Erhebung
des Vitalstatus und der Todesursache.
Lösungsansätze:
- In einzelnen gesetzlichen Regelungen wie z.B. Krebsregistergesetzen ist ein Abgleich verschiedener Datenbestände
vorgesehen. Im übrigen sehen die bundes- bzw. landesrechtlichen Regelungen - mit Unterschieden im
einzelnen - grundsätzlich die Möglichkeit von Datenübermittlungen durch Betriebe,
Einwohnermeldeämter, Gesundheitsämter, Krebsregister etc. vor (vgl. z.B. § 28 Abs.2 Nr.2 BDSG, Meldegesetze,
Gesetze über den öffentlichen Gesundheitsdienst, Krebsregistergesetze, Forschungsregelungen im
Bundesdatenschutzgesetz und in den Landesdatenschutzgesetzen). Die rechtlichen Voraussetzungen dieser
Übermittlungsbestimmungen müssen im Einzelfall geprüft werden.
- Vor der Durchführung einer Studie sollte der Einsatz eines Treuhänders, d.h. eines
vertrauenswürdigen Dritten, geprüft werden, der insbesondere personenbezogene Daten aus verschiedenen
Quellen zuordnet, speichert und anonymisiert an die Forschungsinstitution übermittelt. Die Übermittlung
personenbezogener Daten an einen Treuhänder bedarf ebenso wie die Übermittlung personenbezogener Daten an die
Forschungsinstitution selbst einer Rechtsgrundlage. Der Einsatz eines Treuhänders kann jedoch im Einzelfall den Eingriff in das
Recht der Betroffenen auf informationelle Selbstbestimmung minimieren, indem der Kreis derjenigen Personen, die
personenbezogene Daten zur Kenntnis erhalten, reduziert wird und die Datensicherheit umfassender gewährleistet wird.
Diese Aspekte haben Relevanz für die in vielen Forschungsregelungen vorgesehene Abwägung zwischen den
schutzwürdigen Belangen der Betroffenen und dem öffentlichen Interesse an der Durchführung des
Forschungsvorhabens.
Problem:
Häufig werden von den statistischen Ämtern des Bundes und der Länder in der Praxis
nur Daten übermittelt, bei denen eine Mindestzahl auftretender Konstellationen pro Zelle
erfüllt ist. Hierdurch werden bestimmte Aussagen unmöglich gemacht, z.B. die Unterteilung
einer Untersuchungsgruppe nach Altersklassen oder nach genaueren diagnostischen Einheiten wie
Todesursachen.
Lösungsansätze:
Die statistischen Ämter des Bundes und der Länder dürfen faktisch anonymisierte
Einzelangaben für wissenschaftliche Vorhaben an Hochschulen und andere Einrichtungen mit der
Aufgabe unabhängiger wissenschaftlicher Forschung übermitteln, wenn die
Empfänger Amtsträger, für den öffentlichen Dienst Verpflichtete oder nach
§ 16 Abs.7 Bundesstatistikgesetz Verpflichtete sind (§ 16 Abs.6 BStatG). Die
Daten sind zu löschen, sobald das Vorhaben durchgeführt ist, eine verbindliche
Löschungsfrist besteht nicht (§ 16 Abs.8 BStatG).
Es besteht die Möglichkeit, aus bereits vorliegenden Individualdaten faktisch anonymisierte
Einzelangaben zu bestellen. Von diesem Weg wird jedoch häufig aus Kostengründen
Abstand genommen. Für einige Bereiche sind faktisch anonyme Daten auf Vorrat erstellt worden,
z.B. aus dem Mikrozensus 1995 und der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 1993. Einzelangaben
aus solchen Beständen können gegen geringe Gebühr bezogen werden, die breite
Anwendung dieser Verfahren wird aber durch Geldmangel behindert.
Leichter verfügbar sind statistische Tabellen, die i.a. dadurch anonymisiert sind, daß
Felder mit geringen Belegungen so zusammengefaßt wurden, daß Zahlen kleiner als 3
nicht mehr auftreten. Dies ist für Forschungszwecke oft hinderlich. Soweit jedoch die Angaben
aus Feldern mit zu geringer Belegung nicht mehr erkennen lassen, als nach § 16 Abs.6 BStG
übermittelt werden darf, und auch die weiteren Bedingungen dieser Vorschrift erfüllt werden,
bestehen keine datenschutzrechtlichen Bedenken gegen die Übermittlung auch solcher Tabellen
mit faktisch anonymisierten Einzelangaben.
Problem:
Die Löschung älterer Datenbestände kann der epidemiologischen Forschung
unwiederbringlich Grundlagen entziehen.
Lösungsansätze:
Abgesehen von den Hilfsmerkmalen (insbesondere Namen und Anschriften) gibt es i.a. keine
gesetzlichen Löschungsfristen für statistische Einzelangaben. Die Löschungspraxis
richtet sich nach der Einschätzung des zu erwartenden Nutzens aus der weiteren Aufbewahrung
im Verhältnis zu deren Kosten. Datenschutzrechtlich zulässig wäre eine weitere
Speicherung statistischer Einzelangaben auch für zukünftig erwartete, aber noch nicht im
einzelnen bekannte Zwecke. Vor Löschung der Daten sind diese nach den jeweils geltenden
archivrechtlichen Bestimmungen den zuständigen Archiven anzubieten. Zur Dauer der Speicherung
der Daten bei den statistischen Ämtern bzw. bei den Archiven sollte aus dem Wissenschaftsbereich
der Bedarf dargelegt werden. Die Aufbewahrung der Totenscheine (im Original) richtet sich nach dem
jeweiligen Landesrecht.
Problem:
Bei Fall-Kontroll-Studien wird häufig ein (möglichst repräsentativer) Zugang zu
bestimmten Erkrankungsgruppen benötigt. Dieser kann unter hohen Kosten auf der Grundlage von
Einwilligungen der Betroffenen oder gesetzlichen Forschungsregelungen über Krankenhäuser
erfolgen, in denen diese Patienten behandelt werden. Ein effektiverer und vollständigerer Zugang ist
aber derjenige über Krankheitsregister (z.B. Krebsregister). Der Zugang über das Register dient
dabei nur der Auffindung des Patienten und der Kontaktaufnahme mit ihm, alles weitere kann durch die
Einverständniserklärung der beteiligten Personen abgedeckt werden. Diesen Patienten werden
dann Kontrollpersonen aus der Bevölkerung gegenübergestellt, die auf anderem Wege
kontaktiert und in die Studie einbezogen werden.
Lösungsansätze:
- Gemäß § 8 des Krebsregistergesetzes des Bundes (KRG) können für
Maßnahmen des Gesundheitsschutzes und bei wichtigen und auf andere Weise nicht
durchzuführenden, im öffentlichen Interesse stehenden Forschungsaufgaben die
zuständigen Behörden der Vertrauensstelle des Krebsregisters die Abgleichung Personen
identifizierender Daten mit Daten des Krebsregisters und die Entschlüsselung der erforderlichen
verschlüsselten Identitätsdaten und deren Übermittlung im erforderlichen Umfang
genehmigen.
Vor der Übermittlung personenbezogener Daten hat die Vertrauensstelle über den meldenden
behandelnden Arzt oder Zahnarzt die schriftliche Einwilligung des Patienten einzuholen. Ist der Patient
verstorben, hat die Vertrauensstelle vor der Datenübermittlung die schriftliche Einwilligung des
nächsten Angehörigen einzuholen, soweit dies ohne unverhältnismäßigen
Aufwand möglich ist.
- Die Länder können in ihren Gesetzen zur Ausführung des Krebsregistergesetzes
abweichende Regelungen treffen (§ 13 Abs.5 Nr.2 KRG). Einige Länder haben vom
Krebregistergesetz des Bundes abweichende datenschutzrechtliche Modelle (z.B. keine Aufgliederung des
Registers in Vertrauensstelle und Registerstelle) gewählt. Im Einzelfall sind die einschlägigen
Übermittlungsbestimmungen zu prüfen und zu beachten.
Problem:
Bei Studien, die in mehreren Bundesländern stattfinden, sind häufig die unterschiedlichen
datenschutzrechtlichen Regelungen der Bundesländer zu berücksichtigen.
Lösungsansätze:
Zur Vereinfachung des Verfahrens kann der Studienleiter den für ihn zuständigen
Datenschutzbeauftragten bzw. denjenigen Datenschutzbeauftragten, in dessen Bundesland die zentrale
Speicherung der Daten des Forschungsprojekts erfolgen soll, darum bitten, die Stellungnahmen der
anderen Datenschutzbeauftragten (soweit von dem konkreten Forschungsprojekt betroffen) zu koordinieren.
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