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1. September 1997

Symposium

"Das Internet - Ende des Datenschutzes?"

Das Internet hat sich längst vom exklusiven Kommunikationsmedium von Wissenschaftlern und Computerfreaks zum Rückgrat der globalen Informationsgesellschaft entwickelt. Es ist absehbar, daß sich in den nächsten Jahren ein großer Teil des weltweiten Informationsaustauschs wie auch des elektronischen Handels in das "Netz der Netze" verlagern wird. Den Vorteilen der leichteren Zugänglichkeit von Informationen und der schnelleren Nachrichtenübermittlung stehen gravierende Nachteile für die Netzbürger gegenüber: Unverschlüsselt versandte Nachrichten können beliebig von Dritten mitgelesen, abgefangen, verfälscht und unterdrückt werden, bevor sie den Empfänger erreichen. Der Nutzer des Internets hinterläßt vielfach elektronische Spuren, ohne sich dessen bewußt zu sein oder dies effektiv verhindern zu können.

Angesichts dieser Entwicklung stellt sich die Frage, ob Datenschutz mit herkömmlichen Mitteln im Internet überhaupt noch zu gewährleisten ist und ob nicht neue Konzepte für den Schutz der Privatsphäre im Cyberspace diskutiert werden müssen. Zu diesem Thema findet heute seit 10.00 Uhr im Internationalen Congress Centrum Berlin (Saal 6) ein öffentliches Symposium des Berliner Datenschutzbeauftragten statt.

Bei dieser Veranstaltung erörtern Wissenschaftler und Experten aus dem In- und Ausland die Konsequenzen, die für den Datenschutz aus der Entwicklung des Internets zu ziehen sind. An dem Symposium nehmen neben den deutschen Datenschutzbeauftragten auch die Mitglieder des Internationalen Arbeitskreises "Datenschutz in der Telekommunikation" teil, dessen Herbsttagung unter dem Vorsitz des Berliner Datenschutzbeauftragten, Dr. Hansjürgen Garstka, am 2. September 1997 in Berlin stattfindet.

Nach der Eröffnung des Symposiums durch Garstka hielt Prof. Dr. Alan F. Westin (ehem. Columbia University, New York, Herausgeber der einflußreichen Zeitschrift Privacy and American Business) einen Grundsatzvortrag über Strategien des Selbstschutzes in der globalen Informationsgesellschaft. Westin betonte, daß die bisherige nationale Datenschutzgesetzgebung auf der globalen Datenautobahn im Kontext des dezentralisierten und spontanen Internets nicht mehr effektiv angewandt werden kann. Meinungsumfragen in den USA, aber auch in Europa zeigen, daß Internet-Nutzer zunehmend beunruhigt darüber sind, daß ihre Bewegungen im Netz sowohl für wirtschaftliche wie auch für staatliche Zwecke überwacht werden können. Ein besonderes Problem liegt in der verletzlichen Privatsphäre von Kindern, die im Netz "surfen".

Nach Auffassung von Westin bieten neuerdings datenschutzfreundliche Techniken neben Datenschutzgesetzen, die weiterhin auch auf Netzaktivitäten von Wirtschaftsunternehmen und Behörden angewandt werden sollten, eine wichtige Ergänzung für den einzelnen Internet-Nutzer. Er könnte durch sie in die Lage versetzt werden, selbst darüber zu entscheiden, welche seiner Daten er im Cyberspace offenbaren und welche er geheimhalten will. Diese Selbstschutztechniken, die gegenwärtig verstärkt diskutiert werden, könnten nach Auffassung von Westin dazu führen, daß letztlich jeder Netzbürger sein eigener Datenschutzbeauftragter wird.

Daß das Internet als Datenschleppnetz wirkt, erläuterte Prof. Dr. Peter L. Heinzmann vom Interkantonalen Technikum Rapperswil anhand von Beispielen. Die Masse von inhaltlichen Informationen (Bild-, Ton- und Textdateien), die täglich über das Internet gehen, erzeugen einen zusätzlichen umfangreichen Datenstrom an Verbindungs- und Protokolldaten im Netz, die dem Absender oder Empfänger der Nachricht zuzuordnen sind. Das Internet entwickelt sich auch zu einem interessanten Marketinginstrument, in dem Nutzungs- und Konsumgewohnheiten der Nutzer z. B. mit Hilfe von Cookies erhoben und für die Informationsanbieter jederzeit abrufbar gespeichert werden.

Für den kurzfristig verhinderten Erfinder der Verschlüsselungssoftware Pretty Good Privacy (PGP), Philip Zimmermann, hielt der Direktor des Electronic Privacy Information Center in Washington, Marc Rotenberg, anschließend einen Vortrag über Verschlüsselung als freiheitssichernde Technik für den Netzbürger. Die von Rotenberg geleitete Bürgerrechtsorganisation hat vor kurzem einen viel beachteten Erfolg erzielt, als der US Supreme Court auf ihre Beschwerde hin den sogenannten Communications Decency Act, der bestimmte nichtstrafbare Inhalte aus dem Internet verbannen wollte, für verfassungswidrig erklärte. Rotenberg nahm aus amerikanischer Sicht Stellung zur sogenannten Kryptokontroverse, die auch in Deutschland in letzter Zeit zu heftigen Diskussionen geführt hat. Während die Bundesregierung ihre Pläne aufgegeben hat, noch in dieser Legislaturperiode den Entwurf eines Kryptogesetzes vorzulegen, gegen den auch innerhalb der Regierung rechtliche Einwände erhoben worden sind, ist die Clinton-Administration nach Angaben von Rotenberg noch immer bestrebt, jedenfalls den Export harter Verschlüsselungssoftware zu unterbinden. Rotenberg ließ keinen Zweifel daran, daß er Verschlüsselungssysteme ohne Hintertüren für Dritte für einen zentralen Baustein im System des Persönlichkeitsschutzes im Netz hält.

Am Nachmittag referiert Dr. Ulf Brühann von der Generaldirektion XV der Europäischen Kommission in Brüssel über deren Initiativen zum Datenschutz in der globalen Informationsgesellschaft. Brühann war maßgeblich beteiligt an der Ausarbeitung der Europäischen Richtlinie zum Datenschutz, deren Umsetzung in deutsches Recht bis zum Herbst 1998 vollzogen sein muß.

Die Europäische Kommission hat bereits frühzeitig auf die grundlegende Bedeutung des Rechts des Einzelnen auf Datenschutz in der globalen Informationsgesellschaft hingewiesen. Ohne entsprechende rechtliche und technische Sicherungen droht der Vertrauensmangel bei den Verbrauchern die schnelle Entwicklung der Informationsgesellschaft zu beeinträchtigen. Das erkennen auch immer mehr Hard- und Software-Hersteller und Anbieter im Internet.

Über den Entwurf einer Europäischen Telekommunikationsrichtlinie spricht der Generalsekretär der neu gegründeten italienischen Datenschutzkommission, Dr. Giovanni Buttarelli. Diese Richtlinie befindet sich zur Zeit im Vermittlungsverfahren zwischen Rat und Europäischem Parlament; ihre endgültige Verabschiedung wird demnächst erwartet. Sie kann als regionaler Ansatz zur Lösung von Datenschutzproblemen in internationalen Netzen verstanden werden, auch wenn der Entwurf das Internet nicht ausdrücklich erwähnt.

Schließlich erläutert Stefan Engel-Flechsig vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie die am 1. August 1997 in Kraft getretene Multimedia-Gesetzgebung, inbesondere das Informations- und Kommunikationsdienstegesetz des Bundes. Darin werden erstmals der Grundsatz der Datensparsamkeit und der Möglichkeit zur anonymen oder pseudonymen Nutzung des Internets und anderer Dienste vorgeschrieben. Bisher wurde zu wenig beachtet, daß diese Gesetzgebung auch Vorgaben für die Ausgestaltung von Set-Top-Boxen (Decodern) für den Empfang des digitalen Fernsehens enthält. Der Zuschauer muß auch bei dieser neuen Angebotsform ebenso wie bei der Nutzung des World Wide Web von seinem Fernseher aus (Web-TV) zumindest die Möglichkeit haben, dies spurlos zu tun.

Abschließend werden die Referenten unter der Moderation von Prof. Dr. Bernd Lutterbeck (Technische Universität Berlin) in einem Podiumsgespräch der Frage nachgehen, ob das Internet das Ende oder möglicherweise auch einen Neuanfang für den Datenschutz bedeutet.

Zuletzt geändert:
am 1.9.97

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