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5. März 1997

Jahresbericht 1996

Der Berliner Datenschutzbeauftragte, Dr. Hansjürgen Garstka, stellte heute seinen Jahresbericht für das Jahr 1996 vor.

Neben den Schwerpunktthemen

  • erkennungsdienstliche Behandlung,
  • Erforschung der DDR-Vergangenheit,
  • Datenschutz für Mieter,
  • Kryptodebatte

enthält der Bericht 93 Einzelbeiträge zur Gesetzgebung, zu Verwaltungsvorschriften, Bürgerbeschwerden und Überprüfungen von Amts wegen zu den einzelnen Geschäftsbereichen des Senats und bei Unternehmen.

Allgemein stellte Garstka fest, daß zunehmend Kräfte Raum gewinnen, die dem Datenschutz ablehnend gegenüberstehen: Hinreichende gesetzliche Regelungen in der Strafprozeßordnung und der Abgabenordnung fehlen immer noch. Auch in der Verwaltung Berlins mehren sich die Fälle, in denen sich einzelne Stellen weigern, die gesetzlichen Vorgaben zu akzeptieren.

Garstka wies darauf hin, daß angesichts schwieriger Probleme in der Gesellschaft offensichtlich die Bereitschaft zunimmt, in mehr und mehr Bereichen Lösungen mit Mitteln zu suchen, die bisher polizeilichem Denken vorbehalten waren. Als Beispiele nannte Garstka die Rasterung von Datenbeständen, die erkennungsdienstliche Behandlung und den Aufbau zentraler Vorratssammlungen.

Seitenanfang Anlaß für den Schwerpunkt "erkennungsdienstliche Behandlung" (S. 25) waren mehrere Beschwerden im Zusammenhang mit Razzien am Bahnhof Zoologischer Garten und am Breitscheid-platz sowie diskriminierende erkennungsdienstliche Fotos von rumänischen Abschiebehäftlingen. Razzien werden oft als willkommene Gelegenheit genutzt, an Fotos der Überprüften zu gelangen. Auch an sog. "gefährlichen Orten" darf die Polizei nicht wahllos Personen kontrollieren. Es müssen dafür Tatsachen ersichtlich sein, daß der Betroffene mit den Besonderheiten des Ortes in einem Zusammenhang steht. Die erkennungsdienstliche Behandlung nur aufgrund eines möglicherweise vor Jahren im Polizeicomputer gespeicherten Tatverdachtes ist nicht gerechtfertigt.

Unverhältnismäßig kann auch die Art der aufgenommenen Fotos sein. Wenn rumänische Abschiebehäftlinge mit Jacken ohne Reißverschluß, mit entblößter Brust und zerrissenen Kleidungsstücken auf erkennungsdienstlichen Fotos abgebildet werden, ist dies menschenverachtend, unverhältnismäßig und die Aufbewahrung der Fotos unzulässig.

Ein weiterer Schwerpunkt im Berichtsjahr war die Nutzung von Archiven für die Erforschung der DDR-Vergangenheit (S. 32). Grundsätzlich dürfen diese Unterlagen nicht vor Ablauf von 30 Jahren nach der Entstehung durch Dritte genutzt werden. Nur wenn das Forschungsinteresse erheblich überwiegt und die Person oder der historische Vorgang von besonderer Bedeutung für die Erforschung der Geschichte oder das Verständnis der Gegenwart ist, kann diese Schutzfrist verkürzt werden. Amts- und Funktionsträger der ehemaligen DDR müssen es allerdings hinnehmen, daß ihre Mitwirkung an Maßnahmen zum Gegenstand der Forschung gemacht und veröffentlicht wird.

Zum Datenschutz für Mieter (S. 39) erreichten den Datenschutzbeauftragten viele Beschwerden. Vermieter konfrontieren Wohnungssuchende oft mit umfangreichen Fragebögen, die eine Reihe unzulässiger Fragen enthalten. Gegen die Speicherung der Personalien und des Geburtsdatums zur Vermeidung von Verwechslungen bestehen keine Bedenken; unzulässig sind jedoch in der Regel Fragen nach dem Geburtsort, dem Geburtsnamen, der Religionszugehörigkeit, der Staatsangehörigkeit, der Personalausweisnummer, den Motiven für die Wohnungssuche, der Anschrift des bisherigen Vermieters, über Einrichtungsgegenstände, nach Kleintieren sowie nach Beruf und Arbeitgeber.

Die zunehmende Verbreitung des INTERNET und das Bedürfnis der Nutzer, ihre Nachrichten zu verschlüsseln, hat zur Kryptodebatte (S. 43) geführt. Die Verschlüsselung ist eine der wichtigsten Grundtechniken zur Herstellung informationstechnischer Sicherheit in Kommunikationsnetzen. Damit werden aber nicht nur Zugriffe unbefugter Dritter, sondern auch der Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden ausgeschlossen. Sie erheben daher weltweit die Forderung, die Verschlüsselung von Nachrichten gesetzlich unter den Vorbehalt zu stellen, daß sie bei Bedarf den Klartext jeder übertragenen Nachricht lesen können. Eine derartige Regelung kann durch verschiedene technische Methoden leicht umgangen werden. Gerade das organisierte Verbrechen wird hiervon Gebrauch machen. Eine derartige Regelung würde nicht zu mehr öffentlicher Sicherheit führen, sondern die freie Kommunikation in unverhältnismäßiger Weise einschränken.

Weitere Themen des Jahresberichtes:

Täterorientierte Ermittlungsarbeit bei der Polizei darf nicht zu einer Meldung aller polizeilichen Kontakte des Betroffenen führen, weil dies einer polizeilichen Beobachtung gleichkäme (S. 50).

Akteneinsicht bei der Polizei: Betroffenen wird noch immer grundsätzlich keine Einsichtnahme in die zu ihrer Person geführten Unterlagen gewährt (S. 51).

Die Polizeiliche Einsatzleitzentrale (PELZ) wurde mit Mängeln bei der Datensicherheit in Betrieb genommen. Eine externe Firma konnte bei der Fernwartung des Systems auf die Dateien zugreifen, die Paßwortvergabe war unzureichend, Zugriffsberechtigungen für Mitarbeiter von Fremdfirmen waren zu weitgehend (S. 53).

Im bundesweiten Informationssystem der Verfassungsschutzbehörden werden zu viele Daten gespeichert. Das Berliner Landesamt für Verfassungsschutz darf nur die Daten eingeben, die zum Auffinden von Akten und der hierfür notwendigen Identifizierung von Personen erforderlich sind
(S. 57).

GEZ überholt den Möbelwagen: Die regelmäßige Datenübermittlung aus den Melderegistern an den SFB bzw. die GEZ bei jeder An- und Abmeldung wurde eingeführt, ohne unsere Vorschläge für ein datenschutzfreundliches Verfahren zu berücksichtigen (S. 61).

14 Stunden im Polizeigewahrsam wegen fehlerhafter Ausschreibung im INPOL-Fahndungsbe-
stand
: Obwohl eine Abschiebung eines ehemaligen jugoslawischen Staatsbürgers nicht möglich war, beließ die Ausländerbehörde die Personalien des Betroffenen im Fahndungsbestand (S. 68).

Die Befragung von rückkehrwilligen Vietnamesen erfolgte nicht nur ohne den erforderlichen Hinweis auf die Freiwilligkeit, sondern erweckte den Eindruck, daß eine Verpflichtung zum Ausfüllen der zum Teil höchst bedenklichen Fragen bestand (S. 69).

Die Prüfung der Führerscheinstelle ergab erhebliche datenschutzrechtliche Defizite: Urteile ohne straßenverkehrsrechtlichen Bezug (z.B. Verletzung der Unterhaltspflicht) fanden sich in den Führerscheinakten. Über zehn Jahre zurückliegende Urteile werden weiter aufbewahrt, und Benachrichtigungen des Kraftfahrtbundesamtes bleiben trotz des Ablaufes der Tilgungsfrist im Verkehrszentralregister dauerhaft in den Akten (S. 72).

Korruptionsbekämpfung: Das Gesetzesvorhaben zur Einrichtung einer zentralen Erfassungs- und Koordinierungsstelle ist datenschutzrechtlich bedenklich. Die geplante Verpflichtung zur Meldung von "Hinweisen" oder tatsächlichen Anhaltspunkten für Korruption birgt die Gefahr der Denunziation in sich, die zu verdeckten Ermittlungen und einer jahrelangen Registrierung des Betroffenen führen können. Eine Unterrichtung des Betroffenen über die Datenspeicherung ist ebenso wenig vorgesehen wie Löschungsfristen (S. 82).

Inhalt von Personalakten: Vermerke über die psychische und gesundheitliche Situation eines Mitarbeiters gehören nicht in die Personalakte (S. 88).

Befragungen von Bewerbern über ihren beruflichen Werdegang und ihre Hobbies vor anderen Mitbewerbern sind unzulässig (S. 92). Bewerber, die an Eignungsprüfungen teilgenommen haben, haben das Recht, ihre Testunterlagen einzusehen (S. 93).

Wegen der Unsicherheit des INTERNET dürfen Patientendaten nur in zuverlässig verschlüsselter Form mit e-mail versandt werden. Krankheitsgeschichten dürfen nur in das INTERNET, wenn die Anonymität der Betroffenen sichergestellt ist (S. 95).

Zu weit gehende Ermittlungen zur Feststellung von Zweckentfremdung von Wohnraum geplant: Vorgesehen sind z.B. Datenerhebungen über Ehegatten, Kinder, Lebensgefährten, Anfragen bei der Post, bei dem Sozialamt, der BEWAG und GASAG (S. 103).

Nicht alle Markt- und Meinungsforschungsinstitute sind an der Meinung der Betroffenen interessiert - manchmal steckt etwas anderes dahinter (S. 111).

Datenschutzrechtliche Probleme im Internat: Internatszimmer Heranwachsender sind von den Erziehern als Bereich privater Lebensgestaltung zu respektieren (S. 113).

Datenschutzrechtliche Probleme bei Selbstbedienungssystemen der Banken: Geldautomaten gaben Geld ohne PIN heraus, nie geänderte PINs bei Scheckkarten können zu Problemen führen, zweifelhafte Kundenfreundlichkeit bei Kontoauszugsdruckern (S. 121).

Überprüfung einer Auskunftei: Zu viele Daten werden zu leicht weitergegeben (S. 123).

"Verpolizeilichung" von Telediensten droht: Datenbestände der Telekommunikationsunternehmen unterliegen einem nahezu unbegrenzten Online-Zugriff verschiedener Sicherheitsbehörden (S. 130). Für Multimedia-Dienste sind bedenkliche Auskunftspflichten gegenüber Sicherheitsbehörden geplant (S. 135).

Die Videoüberwachung findet zunehmend Verbreitung. Diese Technik wird zur Überwachung von Eingangsbereichen, Verkehrsmitteln, in Gaststätten, Banken, Parkhäusern und zur Überwachung von Mitarbeitern eingesetzt. Der Datenschutz setzt hier jedoch Grenzen (S. 153).

Zuletzt geändert:
am 05.03.97

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