|
12. September 1996
In der heutigen Plenarsitzung stehen der Bericht des Berliner
Datenschutzbeauftragten zum 31. Dezember 1995 und die Stellungnahme
des Senats auf der Tagesordnung.
In seiner Rede vor dem Parlament erklärt der Berliner Datenschutzbeauftragte,
Dr. Hansjürgen Garstka:
"Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen
und Herren,
wenn es heute möglich ist, in Sekunden vom Arbeitsplatz oder
heimischen Wohnzimmer aus per E-mail zum Ortstarif oder wenig
mehr mit jedem Ort der Welt Nachrichten auszutauschen oder Informationen
abzurufen, wenn Unternehmen und Banken darüber nachdenken,
in welchem Umfang Geld durch Informationen im Netz oder auf Chipkarten
ersetzt werden kann oder wenn ein Pfarrer anbietet, die Beichte
über das lnternet abzunehmen, sind dies keine vereinzelte
Erscheinungen:
Was seit einigen Jahren von Betriebs- und Verwaltungswissenschaftlern,
Medien- und Sozialwissenschaftlern vorausgesagt worden ist, vollzieht
sich vielmehr derzeit mit kaum mehr nachvollziehbarer Geschwindigkeit:
die Umwandlung unserer Gesellschaft in eine Informationsgesellschaft,
das heißt eine Gesellschaftsform, die einerseits geprägt
ist von einer alle Lebensbereiche durchziehenden Nutzung der Informationstechnik,
die andererseits aber auch abhängig ist von dieser Technik.
Zeitliche und räumliche Schranken der traditionellen Informationsverarbeitung
fallen, für jedes Unternehmen und jede Behörde, ja für
jede Einzelperson werden zuvor unvorstellbare Informationsressourcen
verfügbar. Die Miniaturisierung der Technik, symbolisiert
durch Notebook und intelligente Chipkarte, und die Mobilisierung
der Telekommunikation machen die Technik an jedem Ort für
jedermann zugänglich.
|
|
|
Diese Entwicklung stellt ohne Frage eine gewaltige Herausforderung
für die Gewährleistung der informationellen Selbstbestimmung
dar. Je mehr Möglichkeiten die Technik eröffnet, desto
größer wird der Wunsch, sie auch dort zu nutzen, wo
bisher faktische Barrieren die Rechte von Betroffenen schützten.
Vernetzte Informationssysteme gestatten On-line-Zugriffe auf beliebig
große und beliebig entfernte Datensammlungen, Datenabgleiche
und Profilbildungen. Es liegt nahe, daß der Ruf nach derartigen
Instrumenten zunehmend lauter wird, um Rationalisierungspotentiale
auszuschöpfen, Verwaltungsabläufe zu beschleunigen,
mehr Nutzerkomfort zu bieten - aber auch, um die Überwachungsdichte
in Bereichen zu erhöhen, wo Mißbrauch und Fehlverhalten
in jedweder Form festgestellt, vermutet - oder letztlich nur für
möglich gehalten wird.
Die Realisierung dieser Zielvorstellungen birgt erhebliche Risiken.
Es mag nicht unmittelbar als Datenschutzproblem erscheinen, wenn
das Haushaltsstrukturgesetz 1996 eingesparte Personalmittel für
Beschaffung von Informationstechnik zugänglich macht - die
Sicherung der Priorität des Menschen vor der Maschine muß
gleichwohl eine Zielsetzung kritischer Auseinandersetzung mit
der Informationstechnik sein. Wer in der Errichtung von vernetzten
Dateien, der Erhebung biometrischer Merkmale ganzer Bevölkerungsteile
und deren Abgleich oder, um auch den medizinischen Bereich nicht
auszunehmen, der Klassifizierung und Registrierung von Patienten,
deren Krankheiten, Ärzten und Behandlungesmethoden ein Allheilmittel
für die Lösung gesellschaftlicher Probleme sieht, greift
nicht nur tief in die Grundrechte der Betroffenen ein, sondern
wird sich auch am Ende getäuscht sehen: Humane Informatisierung
der Gesellschaft setzt die Lösung von Problemen voraus, Computer
alleine automatisieren die Probleme, nicht deren Lösungen.
Aufgabe der Datenschutzbeauftragten ist es dabei nach meinem Verständnis
keineswegs, die positiven Potentiale der Informationstechnik zu
behindern; vielmehr müssen diese erschlossen, gleichzeitig
aber auch die Grenzen diskutiert werden, die den Nutzungen gesetzt
werden müssen. Der Tätigkeitsbericht des Berliner Datenschutzbeauftragten
für das Jahr 1995 soll in besonderem Maße diese Bemühungen
aufzeigen. Wir haben uns um die Fortentwicklung der Technik ebenso
gemüht wie um die Fortentwicklung des Datenschutzrechts in
unserem Lande, in der Bundesrepublik - und auch im europäischen
und internationalen Rahmen. Besondere Bedeutung hat seit dem Bestehen
unserer Dienststelle die Gewährleistung des Datenschutzes
bei der Telekommunikation - eine Thematik, bei der der Berliner
Datenschutzbeauftragte weltweites Renommee genießt.
Neu waren die Aufgaben der Aufsichtsbehörde für den
Datenschutz im privaten Bereich; mit der von diesem Hause beschlossenen
Novellierung des Berliner Datenschutzgesetzes wurde einer viele
Jahre von uns vorgebrachten Empfehlung nachgekommen und die Kontrolle
des Datenschutzes in eine Hand gelegt. Mit der neuen Zuständigkeit
für die Deutsche Bahn AG und damit für die datenschutzrechtlich
brisante Behandlung der neuen BahnCard waren vom ersten Tag an
Probleme von erheblicher Reichweite zu lösen; ich denke,
im Zusammenwirken aller Beteiligten ist eine Lösung gelungen,
die vorbildlich ist und die demnächst auch in internationalem
Rahmen diskutiert wird.
Neben diesen übergreifenden Themen bleiben allerdings auch
die Alltagsprobleme des Datenschutzes bestehen. Im öffentlichen
Bereich hat dieses Haus mit einer vorbildlichen Datenschutzgesetzgebung
einen Rahmen geschaffen, der nicht nur in Deutschland seinesgleichen
sucht. Auch ist die Aufgeschlossenheit der Berliner Verwaltung
für Probleme des Datenschutzes von mir in den vergangenen
Jahren mehrfach hervorgehoben worden - die Berliner Privatwirtschaft
hat in den wenigen Monaten unserer Zuständigkeit meist große
Kooperationswilligkeit gezeigt.
Dies ändert nichts daran, daß die Umsetzung der informationellen
Selbstbestimmung in einzelnen Bereichen besonders mühsam
war; vor allem mit den Sicherheitsbehörden stellen sich hier
naturgemäß Probleme. Die Stellungnahme des Senats,
etwa zu Fragen des Datenschutzes im Landesamt für Verfassungsschutz
oder beim Polizeipräsidenten zeigt dies deutlich. Gerade
in diesen Bereichen fällt es offensichtlich besonders schwer,
Mängel einzuräumen oder gar die Verwaltungspraxis zu
ändern; besonders deutlich wurde dies ja zu Beginn der Woche
im Innenausschuß, wo nur mühsam eingestanden wurde,
daß die Art und Weise der erkennungsdienstlichen Behandlung
rumänischer Staatsangehöriger in den vergangenen Jahren
mit den Grundrechten dieser Personen kaum in Übereinstimmung
zu bringen war - ein Vorgang übrigens, den wir zum Anlaß
einer datenschutzrechtlichen Prüfung genommen haben, deren
Ergebnis in diesem Haus noch zu diskutieren sein wird.
Daß es auch andere Bereiche gibt, in denen noch ein erheblicher
Nachholbedarf besteht, zeigt die umfassende Prüfung, die
wir in der Vollzugsanstalt Tegel durchgeführt haben. Auch
Strafgefangene haben ein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung,
auch wenn deren Gewährleistung unter den Bedingungen des
Strafvollzugs besondere Herausforderungen stellt - die Beseitigung
der Mängel ist engagiert in Angriff genommen worden.
Bedenklicher als die Situation in Bereichen, in denen es einen
natürlichen Konflikt zwischen den Belangen des Datenschutzes
und denen des Verwaltungsvollzugs gibt, ist eine Tendenz der Berliner
Verwaltung, die sich aus für uns unerklärlichen Gründen
in den vergangenen Monaten deutlich verstärkt hat: Zunehmend
werden Probleme des Datenschutzes nicht nur vernachlässigt,
sondern mehr und mehr wird auch unserer Kontrolltätigkeit
gegenüber Widerstand geleistet; ausstehende Reaktionen auf
unsere Nachfragen, ja unsere Mängelfeststellungen und Beanstandungen
sind an der Tagesordnung; Prüfungen vor Ort werden erschwert;
die eine oder andere Verwaltung erklärt inzwischen sogar
unumwunden, man dächte nicht daran, sich an datenschutzrechtliche
Vorgaben zu halten:
Ich zitiere aus dem Schreiben eines bezirklichen Wohnungsamtes
von Ende August:
"Die in Ihrem Schreiben ... gestellten Forderungen, nur Daten
zu erheben, die durch die derzeit noch gültige Regelung des
§ 2 a Zweckentfremdungs-Beseitigungsgesetz gedeckt sind bzw.
für die der Verfahrensbeteiligte ausdrücklich schriftlich
sein Einverständnis erklärt hat [Anm.: mithin unsere
Forderung gesetzmäßig vorzugehen] können und
werden wir nicht erfüllen."
Oder aus einem Schreiben der damaligen Senatsverwaltung für
Verkehr und Betriebe vom August 1995:
"Der Datenschutzbeauftragte vertritt die Auffassung, daß
im Falle einer unzulässigen Datenübermittlung die dadurch
... erlangten Erkenntnisse nicht verwertet werden dürfen
und beruft sich herbei auf § 42 Abs. 1 ASOG [Anm.: wo steht,
daß nur rechtmäßig erhobene Daten verarbeitet
werden dürfen]. Diese Auffassung halten wir für abenteuerlich."
Ich habe in meinen kurzen Reden, die ich jährlich anläßlich
der Einbringung unseres Berichtes halte, stets meine Hoffnung
ausgedrückt, daß dieses Land, das als Bundeshauptstadt
hinsichtlich der Gewährleistung von Bürgerrechten besondere
Verpflichtungen hat, seine Vorreiterrolle bei der Durchsetzung
des Datenschutzes nicht aufgibt. Ich denke, es sollte gemeinsame
Aufgabe mit dem vor kurzen wieder eingerichteten Unterausschuß
Datenschutz des Innenausschusses sein, diese Stellung zu wahren."
| |