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Nichts Neues von Brunnstein?

                          Oder
Datenschutz ist eben doch kein rein technisches Problem!

Der   Hamburgische  Datenschutzbeauftragte   Dr. Hans-Hermann
Schrader hatte fuer den Abend des 4ten Juni zu einer  weiteren
Vortrags- und Diskussionsveranstaltung in das Auditorium  des
Hamburger Verlagshauses Gruner + Jahr eingeladen.  Vor  dies-
mal  nur etwa vierzig Zuhoererinnen und Zuhoerern sprach  Prof.
Dr. Klaus  Brunnstein zum Thema "Auswirkungen  der  aktuellen
Rechnersicherheitsprobleme auf den Datenschutz".

Dr.  Schrader sprach Kennern aus dem Herzen,  als er  einlei-
tend darauf hinwies,  dass Brunnstein zwar als scharfer Kriti-
ker  unsicherer informationstechnischer Systeme bekannt  sei,
jedoch  selbst bisher kaum Vorschlaege zu  einer  Verbesserung
der Situation gemacht habe.

Selbstverliebt  wie immer begann Brunnstein  seinen  Vortrag,
dessen  Folienwechselfrequenz  am  Overhead-Projektor  beein-
druckend war. Die Wirtschaft wird immer abhaengiger von Infor-
mationen,  seien es nun personenbezogene Daten oder sonstiges
Wissen ueber Maerkte,  Produkte und Dienstleistungen.  Von  der
Verfuegbarkeit  solcher Daten haengen die  saemtlichen  Arbeits-
plaetze,  ja  unser ganzer Wohlstand ab.  Brunnstein  ist  der
Ueberzeugung,  dass  genau diese Datenbestaende eines  Unterneh-
mens  heute  wie personenbezogene  Daten  einer  juristischen
Person  aufgefasst werden muessten,  was aus den im  Grundgesetz
festgelegten  Persoenlichkeitsrechten jedoch nicht  herleitbar
ist.  Wird  in  Zukunft  jedoch auf  eine  solche  Definition
verzichtet,  so die Ueberzeugung Brunnsteins, werden sich auch
die  Rechte natuerlicher Personen aufloesen.  Zu beklagen  sei,
dass die Juristen diesen Zusammenhang leider nicht  verstuenden
(ich auch nicht so recht  :-/  ).

Statt  diese Forderung genauer  auszufuehren,  folgte  nunmehr
die bekannte und breitangelegte Beschreibung der Unsicherhei-
ten  der  weitverbreiteten Personal  Computer:  die  auf  dem
Konzept  des Genies John von Neumann  beruhende  Architektur,
welche  den  Menschen einen Glauben an  die  Beherrschbarkeit
der Systeme vorgaukeln,  die allgegenwaertigen Viren,  die so-
gar  von Softwareanbietern verbreitet wurden,  die  mangelnde
Qualifikation der PC-Anwender, die bei geringsten Bedienungs-
fehlern kapitulieren muessen usw.  Weiterhin stelle die inter-
nationale  Vernetzung  von Computern eine grosse  Gefahr  dar,
wie der KGB-Hack gezeigt habe.

Bereits  an  dieser Stelle gab es eine  Wortmeldung  aus  dem
Publikum:  Herr Juergens,  Referent beim  Schleswig-Holsteini-
schen Datenschutzbeauftragten,  wies darauf hin,  dass der ge-
nannte  Hack  im Wesentlichen kein  technisches  Problem  der
internationalen Vernetzung gewesen sei,  sondern ein soziales
Problem innerhalb der Firma Digital Equipment,  die nicht  in
der Lage gewesen war,  jenen beruehmten Fehler im Betriebssys-
tem der VAX auszuschalten.

Ganz nebenbei fiel die Bemerkung Brunnsteins,  wonach er sich
tief  getroffen  gefuehlt habe,  nachdem man  ihm  vorgeworfen
hatte,  seine Warnungen vor dem Michelangelo-Virus haetten nur
als  Werbung fuer die Anbieter von  Virenabwehrprogrammen  und
fuer  die CeBIT dienen sollen.  Der Chaos Computer  Club  habe
jedoch in der Oeffentlichkeit ein derart grossen  Rueckhalt,  so
Brunnstein, dass dagegen nicht anzukommen sei.

An  einem Datenverarbeitungssystem sind verschiedene  Gruppen
beteiligt.  Da gibt es die Designer, also die Gestalter eines
Systems.  Sie  werden von den Realisatoren,  im  wesentlichen
dem Programmierer-Team,  unterstuetzt.  Die Anwender  benutzen
schliesslich  das System fuer  bestimmte,  etwa  administrative
Zwecke.  Handelt  es  sich um  die  Verarbeitung  personenbe-
zogener Daten,  so kommt noch die grosse Gruppe der  Betroffe-
nen hinzu.  Prof. Brunnstein wies nun darauf hin, dass bei der
derzeitigen Gesetzeslage (Par. 9 BDSG sowie der Anlage  dazu)
bei  Unstimmigkeiten  zunaechst  die Gruppe  der  Anwender  in
Verdacht  geraet.  Die Designer und Realisatoren  des  Systems
hingegen  werden leider vernachlaessigt.  Hier kaeme es in  Zu-
kunft  darauf an,  von dieser Gruppe den Nachweis zu  verlan-
gen, dass sie ein fehlerfreies System geschaffen haben.

Weiterhin  forderte  Brunnstein eine  Mitteilungspflicht  bei
der  Verarbeitung personenbezogener Daten.  Jeder  Betroffene
muss erfahren,  was mit seinen Daten geschieht. Ein Auskunfts-
recht  des  Betroffenen reicht deshalb  nicht  aus,  weil  es
keine  Motivation  fuer ein Nachpruefen  der  Richtigkeit  oder
Rechtmaessigkeit darstelle.  In anderen Bereichen sei eine Mit-
teilung  selbstverstaendlich:  so bekommt jeder etwa eine  Ge-
haltsabrechnung  oder einen Steuerbescheid.  Weiterhin  muesse
es  moeglich sein,  dass die Betroffenen an der Gestaltung  von
Datenverarbeitung  beteiligt  werden,  indem sie  die  Chance
erhalten,  deutlich  zu machen,  welche Dienstleistungen  sie
fordern  und welche nicht.  Eine Beteiligung bei der  techni-
schen Gestaltung haelt Brunnstein jedoch fuer nicht sinnvoll.

Bevor  Dr. Schrader die Diskussion eroeffnete,  wollte er  von
Brunnstein nun doch wissen,  welche Ansaetze zur  Verbesserung
der  Rechnersicherheit  er  vorzuschlagen  habe.   Brunnstein
sieht drei Konzepte,  die derzeit verfolgt  werden.  Zunaechst
gebe  es  diejenigen,  die ihre Hoffnung in  neuronale  Netze
legen,  weil  solche dem Verstaendnis des Menschen naeher  lie-
gen,  als das von Neumannsche Konzept.  Weiterhin liessen sich
objektorientierte Maschinen bauen,  deren gekapselte Bestand-
teile  keine gegenseitigen  Einwirkungsmoeglichkeiten  haetten.
Der  gegenwaertig  vom  Bundesamt fuer die  Sicherheit  in  der
Informationstechnik (BSI) und auch der EG vertretene Weg  ist
der der Beweisbarkeit.  Systeme seien nur dann  einsatzfaehig,
wenn  ein  mathematisches  Modell  ihre  Funktion  bestaetige.
Brunnstein  sieht darin den am wenigsten  sinnvollen  Ansatz.
In  jedem  Fall  aber muessen  wir  weiterhin  mit  unsicheren
Systemen leben;  eine Verbreitung verbesserter  Rechnerarchi-
tekturen ist fruehestens in zwanzig Jahren zu erwarten.

Der bereits erwaehnte Herr Juergens vermisste in der  Wirtschaft
die  verantwortlichen Informatiker,  die bei  der  Gestaltung
von Systemen ausreichende Professionalitaet an den Tag  legten
und auf diejenigen einwirken koennten,  die lediglich  schnell
und fahrlaessig Geld verdienen wollen.  Brunnstein  erwiderte,
dass er in der Lehre auf solche Fragen wert lege,  man  jedoch
sehen  muesse,  dass  die Entwicklung  der  Informationstechnik
jener der Industriealisierung gleiche,  es sich also um einen
selbstaendigen  Prozess handele,  der den Handelnden keine Ent-
scheidungsfreiheiten laesst.  Die Konsequenz zeigt sich bereits
nach 35 Jahren der Computeranwendung.  Was die  Industrieali-
sierung als Umweltkatastrophe hinterlaesst,  ist bei der Daten-
verarbeitung die Akkumulation von Informationsmuell. Herr Juer-
gens  blieb  dennoch bei seiner  Ansicht,  dass  die  Probleme
wesentlich im Sozialen laegen.

Herr Schaar, Abteilungsleiter beim Hamburgischen Datenschutz-
beauftragten,  bemaengelte,  dass bei den gaengigen Sicherheits-
kriterien niemals der Missbrauch der Systeme durch die Betrei-
ber selbst vorkomme.  Brunnstein fuegte hinzu,  dass dies  umso
schlimmer sei,  da gerade die Artikulationsfaehigkeit der  Be-
troffenen gering ist.  Gerade hier liege eine wichtige Aufga-
be der Datenschutzbeauftragten.

Der  ebenfalls  anwesende Geschaeftsfuehrer  der  Schutzgemein-
schaft fuer allgemeine Kreditsicherung (Schufa),  Herr  Pflug-
hoefft,  konnte  Brunnsteins Pessimismus im Hinblick auf  die
Sicherheit der Technik nicht teilen. Die technische Verarbei-
tung der Daten habe sich in seinem Hause nicht als Schwierig-
keit erwiesen.  Das gravierende Problem liege vielmehr in der
Sicherstellung,  dass  die Daten nicht in falsche Haende  gera-
ten.  Brunnstein wollte seine Position verteidigen,  indem er
sagte,  die Elektronik sei eine systemische  Neuerung,  deren
Moeglichkeit  weit  ueber Akten hinausgingen,  so dass  es  sich
immer  um sozio-technische Fragen handle.  Pflughoefft  blieb
jedoch  bei seiner Position und sprach das  bedeutenste  Wort
des Abends: "Hier liegt immer der Fehler im Menschen!"

Autor: Frank Moeller (4./5. Juni 1992)
E-Mail: f.moeller@cl-hh.comlink.de

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