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Kommunikationsnetze - Ein neues Medium und die Folgen
Es war mal eine Zeit, da gab es kein Fernsehen, kein Radio, nur wenige Zeitungen, usw. Da der Mensch aber von Natur aus neugierig ist und patou auch immer ALLES wissen will, gab es mehr Zeitungen - mit verschiedenen Niveau und Stil. Dann kam Radio und Fernsehen. Damals gab es Diskussionen um das neue Medium. Viele hatten Angst, dass die Menschen "verdummen" und nur noch vor diesen "Teufelskisten" sitzen. Nun: Heute wissen wir, dass der Mensch weitgehend lernte mit diesem Medium umzugehen. Die Wirkung dieses Mediums war enorm. Es ist nunmal ein Unterschied, ob mensch in der Zeitung von Kriegen, Hungerkatastrophen und Verbrechen liest, oder die Folgen oder die Taten selber im Fernsehen sieht. Aber TV und Radio waren ja nicht die letzten "neuen" Medien, die eingefuehrt wurden. Ende der 70iger kam ein Medium mit Namen Video auf. Viele Leute be- gannen es als neues Medium zu feiern. Eben als neues Ausdrucksmittel. Videolaeden entstanden, Videokameras konnten geliehen werden und ein neuer Kunstzweig, aber auch Kommunikationszweig entstand. Viel ist von diesen Laenden nicht uebriggeblieben. Vielleicht noch die Bahnhofs-Fernsegprogramme und die Videoclips. Ein Medium kann also auch scheitern. Nun ist seit paar Jahren ein neues Medium im Gespraech. Die DFUE. In der Anfangszeit waren die Mailboxen noch ein Treffpunkt, aber durch die stetige Vernetzung wurde es langsam, aber sicher zu einem richtigen Medium. Aber dieses Medium wird nicht genutzt. Viele gehen an ein Kommunikationsnetz (nur so nebenbei: Datennetze gibt es nicht) ran, wie an einer Zeitung. Sie suchen sich die fuer sich interessanten Rubriken (Konferenzen, Gruppen, Bretter) aus und lesen dort die Nachrichten. Wenn sie gerade nix besseres zu tun haben, beantworten oder kommentieren sie das was sie dort lesen. Aber weitgehend wird das Medium doch im althergebrachten Anbieter/Recipient Verhaeltnis genutzt. Das gilt nicht nur fuer die Benutzer, sondern auch fuer Parteien und gesellschaftliche Gruppen. Umweltgruppen, Parteien, Journalisten Fachschaften neigen dazu ihre Mitteilungen zu veroeffentlichen, als wenn sie die Nachrichten ueber Fax oder Presseverteiler unter die Menschheit bringen. Sie melden sich aber kaum zu - eigentlich sie betreffenen themen - zu Wort. Information, nicht aber die Diskussion (und damit der Meinungsbildungsprozess) steht im Vordergrund. Allerdings darf nicht uebersehen werden, dass die Netze ein junges Medium ist mit allen Kinderkrankheiten. Die Frage ist nun: Was sind den die Aus- wirkungen und "Krankheiten" dieses Mediums. Eine Diplomarbeit kann helfen diese Frage wenigstens teilweise zu beantworten. Ein BWL-Student der Uni Oldenburg hat sich als Thema seiner Diplomarbeit das Thema "Auswirkungen elektronischer Mitteilungssysteme auf die Kommunikation in Organisationen" gewaehlt. Zwar werden in dieser Arbeit die WL-spezifischen Folgen beschrieben, aber es faellt nicht schwer diese Effekte allgemein auf den Netzen zu beobachten. Die Basis sind diverse Untersuchungen in England, Skandinavien und den USA. In der Arbeit werden die verschiedenen Netzformen und Kommunikationssysteme beschrieben. Bei einem Netzmagazin gehe ich jetzt mal blind davon aus, dass dazu nix mehr gesagt werden muss. Zur besseren Beurteilung wird nun festgestellt, dass jede Kommunikation einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt hat. Die Inhaltsaspekt ist die Darstellungsform der Daten, der Beziehungsaspekt gibt an, wie die Daten zu interpretieren sind. Die Inhalsaspekte sind stark von dem "Kommunikationskanal" abhaengig. Solche sind z.B. face-to-face, Telefon, Briefe, Telex, E-Mail. Es ist klar, dass in der Reihenfolge face-to-face, Telefon,Briefe,E-Mail immer weniger persoenliche Nebeninformationen ein- fliessen. Alle Kommunikationskanaele sind mehr oder weniger gleich geeignet Inhalte zu uebermitteln. Bei den Beziehungsaspekten sind sie aber voll- kommen verschiedenen geeignet. Nun gibt es Untersuchungen wie Menschen sich bei verschiedenen Kommunikationstaetigkeiten, denken welcher Kanal am geeignetesten ist. Dazu eine kleine Gegenueberstellung: Einfacher Informationsaustausch - Telefon, E-Mail leicht komplexe Aufgaben mit feed-Back - Face-to-face, Telefon Komplexer Informationsaustausch - Face-to-face Vertraulicher Infoaustausch - Face-to-face, Brief Also steht E-Mail nicht gross in Kurs. Insbesondere braucht der Mensch den direkte Reaktion des Gegenuebers um, Missverstaendnisse zu vermeiden. Grundsaetzlich bietet E-Mail aber verschiedene Vorteile, wie z.B. die asynchrone Datenuebermitteilung (Empfaenger muss nicht anwesend sein) oder den Text, der weniger Missverstaendnisse aufkommen lassen KANN. Bestimmte Effekte sind bei E-Mail beobachtet worden. Die elektronische Mitteilungssysteme sind noch neu. Die Benutzer haben noch keine oder nur wenige Verhaltsnormen entwickelt. Dieses Fehler der Normen fuehrt zu erheblichen Problemen bei der Nutzung dieser Systeme. Dies sind aber mit ziemlicher Sicherheit Kinderkrankheiten. Aehnlich wie beim Telefon werden sich allgemeine Normen einfinden. Beim Telefon ist es z.B. ueblich zu bestimmten Zeiten nur bei wichtigen Dingen anzurufen und z.B. auf Geschaeftsgespraeche verzichtet (Nachts, Feiertage). Drei Effekte beim E-Mail stark ausgepraegt: 1. Relativ stark enthemmtes Kommunikationsverhalten Die Nutzern neigen dazu weniger auf soziale Normen zu achten. Es wurde beobachtet, dass die "Teilnehmer des Systems eine zunehmende Bereitschaft haben ueber schlechte und negative Mitteilungen zu kommunizieren". Auch extreme oder weniger soziale Meinungen, das Fluchen, Beschimpfungen, feindliche Kommentare (Flames) kommen haeufiger vor, als bei persoenlichen Gespraechen. Die weniger stark ausgepraegten sozialen Normen haben Vor- und Nachteile. Es koennen leichter neue Ideen entwickelt und mitgeteilt werden, die Geselligkeit und die organisatorische Anhaenglichkeit wird erhoeht. Andererseits kommen sehr viel redundante - unnuetze - Informationen auf. Dieser Effekt ist unabhaengig von der Erfahrenheit der Benutzer oder Randbedinungen wie Realname oder nicht. Dies wird auf den Netzen einige vielleicht erstaunen, scheint aber tatsaechlich so zu sein. 2. Selbstbezogenheit Die Aufmerksamkeit wird bei E-Mail eher auf sich selbst, als auf die Mitteilung oder den Empfaenger gerichtet. Die Reaktion des Empfaengers ist weit aus weniger wichtig (was eben auch wieder leichter zu "Flames" fuehrt), als sonst. Gleichzeitig hat die Selbstbezogenheit auch den Vorteil, dass die Teilnehmer selbstbewusster reagieren, als bei Telefon oder face-to-face. Auch Normgen wie Begruessung, Verabschiedung, etc finden weniger Beachtung. 3. Statusausgleich "Die Mitteilungen, die ueber elektronische Mitteilungssysteme ueber- mittelt werdenm haben gleiches Aussehen". Es gibt keine oder nur wenige Randinformationen ueber die Wichtigkeit, hierarchische Rangordnung, etc vorhanden. Es faellt auch auf, dass Nutzer die E-Mail eher fuer Nachrichten an ihre Vorgesetzten, als zu ihren Untergeordneten nutzen. Dies hat sein Grund in dem psychologischen Effekt, dass die Unterge- ordneten nicht an ihre Statusunterschiede erinnert werden WOLLEN. Der positive Effekt ist, dass Minderheiten, Schuechterne, etc eher ihre Meinung vertreten und daher eine groessere Meinungsvielfalt aufkommt, die dann in den Meinungsbildungsprozess einfliessen koennen. Da diese Medien aber relativ schnell sind, konnt es schnell zu einer Ueber- lastung der Teilnehmer. Dabei steigt eben ueberschnell die Anzahl der "junk mail", als der unnuetzen Nachrichten. Dazu kommen die Probleme die Nachrichten verwalten zu koennen. Wie stark sind die Effekte den zu gewichten ? In einer schwedischen Studie wurden sogar zahlen ermittelt. Danach enthielten 65% der Mitteilungen bei E-Mail neue Informationen. 43% der Benutzer erhielten bzw. sendeten nachrichten an Menschen mit denen sie vorher nie zu tun hatten. 14% der Benutzer berichteten, dass sie zwar keine neue Nachrichten verschickt haben, aber neue Nachrichten erhalten hat. Zwei Amerikaner (Kerr, Hiltz) meinten auf Grund dieser Effekte: "In einem offenen, demokratischen Systen, bei dem die Geheimheit der Mitteilungen geschuetzt ust, wird die Zunahme der informellen Kommunikation erst moeglich." Darauf folgern aber auch mehr "Gefuehle" bei der Kommunikation. 30% der Mitteilungen haben mehr Gefuehle (in der Arbeit sozielemotionale Inhalte genannt) beinhaltet. Das ist aber auch ein Vorteil, weil dadurch indirekt dem Wunsch der Menschen nach Geselligkeit auch waehrend der Arbeit entsprochen wird. Soll uns dies was sagen ? Einige Effekte sind uns nicht neu. Wir kennen diese tagtaeglich von den Netzen. Mir persoenlich war aber auch einiges neu: Das die viel gepriesene Unwichtigkeit von Geschlecht, Staatsangehoerigkeit, Hautfarbe, Religion sich auch bei wissen um den Status oder den Realnamen fortsetzt. Einige Diskussion fuer, aber auch gegen Realnamepflicht wird damit doch ziemlich unwichtig, da keine Effekte zu erwarten sind. Es bleibt aber zu wuenschen, dass Teilnehmer sich die Chance nicht nehmen lassen, ihren richtigen Namen zu verwenden. Chance deswegen, weil sie leichte ihre Meinung darlegen koennen und auf diese Weise - zusammen mit der Tatsache das sie von sich aus, mit ihren Namen fuer ihre Meinung einstehen - ein staerkeres Selbstvertrauen aufbauen koennen. Die haeufig gebrachten Argumente gegen Realnamepflicht sind also weitgehend so nicht zu halten. Gleichzeitig bietet die Verwendung des Realnames nicht zu uebersehene Vorteile. Auch der Hang zur Ich-Bezogenheit oder zum Flamen liegt als in der Natur des Mediums und nicht in der Person. Vielleicht sollten sich einige paar Gedanken zu ihrem Verhalten gegenueber anderen machen. Vielleicht ist das Gegenueber doch nicht so ein Novum ... kein Asozialer oder Anarchist. Vielleicht doch eher ein User wie du und ich ? Als Entschuldigung fuer Flamer sollte dies aber nicht verstanden werden. Quelle: Diplomarbeit von Murat Melekenoglu, 1990, Uni Oldenburg Terra ------------------------------------------------------------------------------ |
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