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Sozialversicherungsausweis fuer alle?
Im Zeitraum vom 01.01.1991 bis zum 31.12.1995 erhaelt ein Teil der
Bundesbuerger einen neuen Ausweis: den Sozialversicherungsausweis, kurz
SVA genannt. Die entsprechenden Bestimmungen (Gesetz zur Einfuehrung des
SVA's oder GES) sind dieser Tage verabschiedet worden und treten ab
1.1.1990 in Kraft. Offizieller Hintergrund dieses Gesetzes ist die
Aufdeckung von Sozialleistungsmissbrauch und die Aufdeckung illegaler
Beschaeftigungsverhaeltnisse. Mit dem SVA und den entsprechenden
Bestimmungen wird den Traegern der Sozialleisungen und den
Ordnungsbehoerden eine weitrechende Kontrollmoeglichkeit ueber die
Betroffenen ermoeglicht. Einige im GES aufgefuehrte Berufsgruppen sind
verpflichtet, den SVA am Arbeitsplatz mitzufuehren. Darunter fallen
Arbeitnehmer aus Bau-, Schausteller-, Gebaeudereinigergewerbe und
Messebau. Andere Bereiche koennen durch den BMA per Rechtsverordnung
ebenfalls dazu verpflichtet werden. Generell muss sich der Arbeitgeber
bei der Einstellung den SVA vorlegen lassen. Bei der Lohnfortzahlung im
Krankheitsfall kann der Krankengeldtraeger eine Hinterlegung des SVA
verlangen. Gleiches gilt, wenn der Betroffene Sozialleistungen wie
Sozialhilfe, Arbeitslosenhilfe oder Arbeitslosengeld bezieht. Da der
Arbeitgeber die Einstellung umgehend weiterzumelden hat besteht hier
kaum die Moeglichkeit, ohne SVA eine Anstellung zu bekommen. Da auch
geringfuegig Beschaeftigte der Einzugsstelle zu melden sind hat hier die
Kontrolle enge Maschen.
Zentrale Datenstelle
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Eine zentrale Einzugsstelle wird im Namen der entsprechenden
Sozialleistungstraeger die SVA einziehen und die entsprechenden Daten
verwalten und bei Bedarf weitergeben. Verwaltet werden so z.B. die Daten
der geringfuegig Beschaeftigten in der privat organisierten Datenstelle
der Versicherungstraeger, die durch das GES eine neue Aufgabe erhaelt.
Hier soll in erster Linie abgeglichen werden, ob mehrere geringfuegige
Beschaeftigungsverhaeltnisse vorliegen, die dann evtl. eine
Versicherungspflicht begruenden.
SVA nicht fuer alle
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Durch den SVA kontrolliert werden alle versicherungspflichtigen
Beschaeftigten, sonstigen Versicherungspflichtigen und
Sozialleistungsbezieher. Ausdruecklich vom GES ausgeklammert sind alle
von der Versicherungspflicht befreiten Personen, im Haushalt
Beschaeftigte, sofern sie die Geringfuegigkeitsgrenze nicht
ueberschreiten usw. Von der strengen Meldepflicht ausgenommen sind
Arbeitgeber im Schaustellergewerbe und im Messebau sowie in Land-und
Forstwirtschaft, wo die Beschaeftigung auf bestimmte Zeitraeume begrenzt
ist.
Starke Kontrolle
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Der SVA kann nur sinnvoll sein, wenn die Massnahmen der Ueberwachung
wesentlich erweitert werden. Kontrollen beim Arbeitgeber, Pruefung der
Lohnunterlagen, Pruefung der Beschaeftigten mittels ihres SVA's.
Vorausstezung hierfuer ist ein hoher technischer Standard der
Kontrollierenden: Rueckfragen bei der Einzugsstelle muessen sofort
abgewickelt werden. Durchfuehrende Organe sind hier unter anderem BfA,
Polizei, Ornungs-, Gewerbeaufsichts- und Auslaenderamt. Diese
Institutionen durefen Kontrollen ohne vorherige Ankuendigung
durchfuehren. Eine weitgehende Regelung zum Datentausch ermoeglicht
hierbei die Aufdeckung von Verstoessen.
Das Netz wird enger
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Die bisherige Regelung ermoeglichte den Austausch von Daten der BfA,
der Einzugsstellen und der Rentenversicherungstraeger nur im Einzelfall
bei konkreten Anhaltspunkten fuer Verstoesse gegen das SGB, AFG,
SchwArbG oder bei einem gerichtlichen Verfahren. (@113 ABS. 1 S.2 SGB
IV), Krankenversicherungen durften selbst dann ihre Daten nicht
freigeben. Das GES ermoeglicht nun den Behoerden, die ja die
Ueberpruefung durch das Arbeitsamt unterstuetzen sollen, die
erforderlichen Daten auszutauschen. (@107 Abs.1 SGB IV). Hier ist nun
nicht mehr ein konkreter Anhaltspunkt fuer die Uebermittlung der
Sozialdaten notwendig, es wird nur noch durch den
Erforderlichkeitsmaszstab beschraenkt.
Universeller Ausweis
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Den SVA im privaten Bereich zu verwenden ist gesetlich unzulaessig. In
der Praxis stellt der SVA jedoch einen staendig verfuegbaren
Beschaeftigungs- bzw. Einkommensnachweis dar, dessen Verwendbarkeit in
Bezug auf Miet-, Kredit- und Verleihgeschaefte fuer die eine Sicherheit
bedeutsam ist, denkbar erscheint. Bei flaechendeckender Verbreitung sind
die sich aus dem SVA ergebenden Moeglichkeiten fuer solche und aehnliche
Geschaefte fuer die Wirtschaft zu guenstig, als das seine Verwendung in
diesem Bereich ausgeschlossen werden kann.
Betroffene
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Vom GES in erster Linie betroffen sind die Sozialleistungsempfaenger,
die neben der systematischen Kontrolle, neuen Diskriminierungen
ausgesetzt sind. Die Nicht-Einfuehrung des SVA liegt in ihrem
unmittelbaren Interesse.
Bei der im Sozialbereich vorliegenden Verdatung betrifft das GES
amsonsten alle Bundesbuerger, wenn auch mit verschiedenen Auswirkungen.
Der als blosse Modernisierungsmassmahme des
Sozialversicherungsnachweisheftes verkaufte SVA birgt wesentlich
weitergehende Kontrollmoeglichkeiten in sich, die in Verbindung mit
seiner Maschinenlesbarkeit in der Zukunft ungeahnte Moeglichkeiten
auftun. In engem Zusammenhang hierzu steht der Datenbestand der
Rentenversicherungstraeger in Wuerzburg, der wohl zu den umfassendsten
in der Republik gehoert, der von der Oeffentlichkeit jedoch zu den am
wenigsten beachteten zaehlt.
Soziale Diskriminierung
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Fraglich ist, inwieweit die Vorlage und Hinterlegungspflicht des SVA bei
den Leistungstraegern und auf Verlangen des Arbeitgebers mit dem Recht
auf freie Menschenwuerde und dem Recht auf freie Entfaltung der
Persoenlichkeit harmoniert. Der SVA erhaelt den Charakter eines
'Arbeits-Erlaubnis-Ausweises' dessen Nichtbesitz zum
Sozialleitstungsbezieher abstempelt. Die zur Hinterlegung berechtigten
Stellen sind nur verpflichtet, den Ausweis wieder auszuhaendigen, wenn
der Leistungsbezug wegfaellt, obwohl fuer eine Vielzahl von
Sozialleistungen kein Beschaeftigungsverbot besteht. Der
Sozialleistungsempfaenger muss sich seine Beschaeftigung lediglich
anrechnen lassen. Zudem bewerben sich eine Vielzahl von
Leistungsempfaengern naturgemaess waehrend ihres Leistungsbezuges um
eine neue Stelle. Hier liegt es im Ermessen der verwahrenden Stelle, ob
die Sozialleistungsbezieher hierfuer ihren Ausweis zurueckerhalten. Der
Besitz des SVA koennte zum Statussymbol einer 'Zwei Drittel
Gesellschaft' werden, der Nichtbesitz zum Stigma des
beschaeftigungslosen Drittels. Einem besonderen Stigma koennten die
unterworfen sein, die in den Wirtschaftsbereichen beschaeftigt sind, die
der Mitfuehrungspflicht des SVA unterliegen. Schon durch das Auessere
des Ausweises mit einem Lichtbild werden sie als Beschaeftigte teilweise
stigmatisierter Berufsgruppen erkennbar.
Zusammenfassung des Scripts 'Sozialversicherungsausweis: Statussymbol
der Zwei-Drittel-Gesellschaft' von Hartmut Friedrich und Joachim Riess,
Bremen Istitut fuer Informations- und Kommunikationsoekelogie (IKOe)
Resumee (in eigener Sache)
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Es sei in Frage gestellt, ob die Einfuehrung des SVA gesellschaftlich
groesseres Unheil anrichtet, als sein Nutzen, naemlich die Aufdeckung
illegaler Beschaeftigungsverhaeltnisse ist. Bei dem Einsatz derartiger
Kontrolltechniken ist ein sensibles Umgehen hiermit erforderlich, um den
enthaltenen sozialen Sprengstoff nicht zum Explodieren zu bringen.
Leider kann man von einem derartigen Verhalten der Institutionen nicht
grundsaetzlich ausgehen. Ausserdem ist fraglich, ob der SVA seinen
Aufwand rechtfertigt, es muesste fuer alle Sozialleistungstraeger
eigentlich wesentlich interessanter sein, ihre Leistungsempfaenger auf
eigenen Beinen stehen zu sehen als sie zu stigmatisieren. Eine
weitgehende Aufklaerung um die mit dem SVA und GES verbundenen Rechte
und Pflichten seitens der Leistungstraeger und auch durch andere Stellen
ist zu fordern, genau wie weitergehende Eingliederungsmassnahmen der
Sozialleistungsempfaenger. Die Entwicklung der mit dem GES verbundenen
Massnahmen sollte aufmerksam verfolgt werden. Schliesslich ist - von
wenigen Aussnahmen abgesehen - niemand vor dem Los der Arbeitslosigkeit
gefeit.
Ulrich Tiemann
(lord@olis.uucp)
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