Was vom Jahr übrig blieb
Realitätsabgleich und Rückblick 1997
ActiveX, Kinderporno, EC-Karten und so weiter
Referent: Andy Müller-Maguhn, Hendrik H. Fulda und Frank Rieger
Da sitzt er auf der Bühne, der Vorstand, und erzählt so beiläufig,
was er das Jahr über getrieben hat. Außer bei diesem alljährlchen
Realitätsabgleich hat man wohl bei keiner Veranstaltung auf dem
CCCongress eine so nette Gelegenheit, den "eingetragenen Verein"
hinter dem CCC ein wenig durchschimmern zu sehen.
Woraus besteht also die Vorstandsarbeit in einer Hightech-Lobbyorganisation
wie dem CCC? Aus Veröffentlichungen, Vorträgen und Zeugenaussagen.
Das nennenswerte 1997 begann mit einer Veröffentlichung im SPIEGEL,
über den Trick von Lutz Donnerhacke, mit Hilfe eines Active-X-Applets
einem fremden Computer Überweisungen auf das eigene Konto unterzuschieben.
"Große Presselast" war die Folge, ähnlich wie nach einer weiteren
SPIEGEL-Story, in der behauptet wurde, jedes eingeschaltete Mobiltelephon
ließe sich aus der Ferne als Wanze umprogrammieren. Ob das tatsächlich
funktioniert, ist noch nicht geklärt. Dennoch: "An dem Tag", erinnerte
sich Frank Rieger, "habe ich drei Akkus leertelephoniert, das
ist mir noch nie passiert". (Woraus wir lernen, daß eine Veröffentlichung
im SPIEGEL immer noch die beste Methode ist, um ein Mobiltelephon
aus der Ferne einzuschalten und dann Informationen abzusaugen.
Zumindest bei Franks Mobiltelephon).
Mit wachem Auge verfolgte der Club auch das Urteil des OLG Hamm
in Sachen Sicherheit von PINs auf EC-Karten, das erste, in dem
die Richter nicht dem Argument der Banken folgen mochten. Seitdem
ist also auch unter Juristen bekannt, daß die Informationen auf
der Karte ausreichen, um die PIN auszurechnen. Wenig Beachtung
hingegen fand Andys Vorschlag für ein Update der 10 Gebote auf
dem Kirchentag.
Schön sind die Geschichten anzuhören, die mit einem gönnerhaften
"und dann habe ich dem Richter in fünf Minuten das Internet erklärt"
und dem homerischen Gelächter aus dem Publikum enden, zum Beispiel
die vom Prozeß gegen die PDS-Bundestagsabgeordnete Angela Marquardt,
der CompuServe die Homepage wegen eines Links auf strafbaren Inhalt
(in diesem Fall die Internet-Ausgabe der Zeitschrift "Radikal")
gesperrt hatte. Fazit aus diesem Prozeß: Frau Marquardt ist wegen des "Radikal"-Links nicht verurteilt
worden, aber grundsätzlich ist die Strafbarkeit von Links nicht
geklärt.
Das schlagende Argument war in diesem Fall der Verweis auf ein
SPIEGEL Online-Angebot, in dem Links zum Thema "Auschwitzlüge
und so weiter im Internet" gesammelt worden waren, so berichtete
Andy (der als sachverständiger Zeuge im Prozeß gegen Angela Marquardt
gehört wurde).
Im August durfte der Vorstand dann auch die Dreharbeiten zm Film
"23" (Über den KGB-Hack und Karl Koch) in Köln besichtigen. Eben
dort wurde nämlich der CCCongress aus jenen Tagen nachgestellt,
in einer Turnhalle und mit alten C64-Rechnern aus der Requsite.
Die Statisten, alles Schüler, erzählte Andy mit Mißbilligung in
der Stimme, seien von der Regieassistentin ständig dazu angehalten
worden, doch bitte mehr zu rauchen.
Ein Dauerbrenner des Jahres 1997 war Kindesmißbrauch und -pornographie,
und leider eben auch Detlef Drewes, ein politischer Redakteur
der "Augsburger Allgemeinen", der über T-Online eineutige Angebote
empfangen haben will, aber (laut Andys Bericht nach übereinstimmender
Meinung des CCC und des bayerischen Landeskriminalamtes) wohl
viel zusammenphantasiert und sich seine Fundstellen als Agent
Provocateur selbst erzeugt.
Von der Tagung der Datenschutzbeauftragten gab es die Beobachtungzu
vermelden, daß sich die Zeiten sehr geändert haben und die Beauftragten
sich mit neuen Aufgaben befassen möchten:nicht mehr der Staat
als allmächtiger Sammler von Bürgerdaten ist die größte Gefahrenquelle,
wie man vor 10 Jahren bei der Einrichtung dieser Ämter dachte
- die Wirtschaft sammelt weit mehr Daten, ohne kontrolliert zu
werden. Außerdem sei es an der Zeit, auch die Offenlegung von
staatlich gespeicherten Daten zu fordern, damit die Bürger ihrer
Verwaltung besser auf die Finger schauen können.
Erfahrungen der Machtlosigkeit konnte der Vorstand auch bei Anhörungen
vor Bundestags-Kommisionen sammeln, wo sich die Abgeordneten
über Konzepte und Sachverhalte genauer informieren, die bei der
Gesetzgebung sowieso nicht berücksichtigt werden. Immerhin - so
das augenzwinkernde Resümee - "das Internet ist auch 1997 nicht
verboten worden".
Martin Virtel