Ihr müßt nicht jammern, Ihr müßt was dagegen tun
Geschichte und Essenz der Netzkultur in Deutschland
Referenten: Rena Tangens und padeluun
Angekündigt war ein Vortrag von padeluun; stattdessen gab es - nach
einigen einleitenden Bemerkungen von Rena Tangens und
padeluun - eine Bilanz von fünfzehn Jahren Netzkultur in
Deutschland, die das Publikum zusammen mit den Referenten zog.
Der Ausblick in die Zukunft war weniger einmütig, eine neue
Vision oder gar eine gemeinsame Utopie gab es nicht.
Die Probleme der Vergangenheit waren hauptsächlich technischer Natur: Es gab
zwar Informationen, aber diese wurden nicht vernetzt - oder wenn es
Netzwerke gab, so erfuhr niemand davon: Es gab kein "Netz für alle". Um an
die Informationen zu kommen - immerhin so brisante wie die neuesten Meßdaten
nach Tschernobyl und ihre Bewertung durch Radiologen - und sie vielleicht
noch anderen ebenfalls zur Verfügung stellen zu können, mußte man sich
strafbar machen.
Die Lösungen, um die technischen Möglichkeiten nutzbar zu machen, waren
zunächst oft unterschiedlich und damit nicht leicht kompatibel. Jede Lösung
hatte einen anderen ideologischen Hintergrund (auch heute noch, bei dieser
rückblickenden Diskussion, zeigen sich diese Barrieren als sehr resistent):
Das Zerberus-Netzwerk, das einen Unterschied machte zwischen dem technisch
weder interessierten noch versierten Nutzer und den Programmierern und
Sysops, das Fidonetz aus Amerika, das keine Privatsphäre ermöglichen
wollte,
der Vorgänger der heutigen DE-Hierarchie (damals noch auf Universitäten
beschränkt), bei dem Lösungen nicht von wenigen für wenige erarbeitet
wurden, sondern wo neue Möglichkeiten in
gemeinschaftlicher Bemühung erarbeitet wurden - das Ergebnis war Linux.
Diese Entwicklungen waren allerdings auf die (damals auch
im Vergleich zu heute noch enorm teure) technische Infrastruktur der Unis
und das Know-How der Informatikstudenten angewiesen. Die Mitarbeit
war nur einer Technik-Elite möglich.
Trotz unterschiedlicher Geschichte sind diese verschiedenen Technologien
inzwischen miteinander vernetzt; die Grenzen zwischen den früher getrennten
Netzen sind für die Nutzer kaum noch spürbar, übergreifende Kommunikation
ist leicht möglich. Die technischen Probleme sind in dieser Hinsicht
wohl gelöst.
Die Fragen, die nicht ausdiskutiert werden konnten, betrafen den Nutzen und
die Nutzung der Technik. Rena mahnte immer wieder zu bedenken, daß nicht
alle auf dem hier innerhalb der letzten zweieinhalb Jahre erreichten Stand
sind: nicht überall ist es so leicht und billig wie in Deutschland, einen
Telefonanschluß zu bekommen; nicht alle haben eine Standleitung, bei der
auch größere Datenmengen keinen großen Zeit- und Geldverlust bedeuten; nicht
alle haben das Geld, immer einen Rechner auf dem technisch neuesten Stand zu
besitzen; nicht alle haben einen kostenlosen Zugang an der Uni.
Die breite Verfügbarkeit billiger und schneller Internetzugänge läßt viele
vergessen, was in der Vergangenheit längst ausdiskutiert worden ist. Zu
beklagen ist dabei, daß heute noch mehr als früher die meisten Entwicklungen
aus den USA kommen und damit Forderungen nach Privatsphäre und Datenschutz
schwieriger durchzusetzen sind. Deutsche Lösungen aus der Vergangenheit
werden dabei nur allzu schnell vergessen und alte Probleme (etwa das der
Lese- oder Empfangsbestätigung) wieder neu diskutiert - mit neuen, nicht immer
besseren Ergebnissen.
Die Verfügbarkeit und Bedienerfreundlichkeit des Internet ist gestiegen.
Wenn sich damit Probleme wie Spam oder ein sinkendes Niveau der Diskussionen
in den News ergeben, so ist dies ein Zeichen dafür, daß im Internet nunmehr
die gesamte Gesellschaft repräsentiert ist, nicht mehr nur eine Elite an den
Unis oder eine Subkultur mit eigenen Netzen. Alle Probleme im Internet sind
also Probleme der Gesellschaft und können nur durch eine Veränderung der
Gesellschaft angegangen werden.
Vernetzung beginnt im Kopf. Wenn die Menschen mit Hilfe des Internet
miteinander kommunizieren sollen, so muß bei ihnen das Bedürfnis nach
Kommunikation bestehen; eine erwünschte Kommunikation wird nicht durch die
daran Beteiligten mit Spams, Werbung oder sinnlosen Mitteilungen gestört
werden. Dies sind die eigentlichen Aufgaben für die Zukunft, nachdem die
technischen Probleme gelöst sind, und auch das schlechteste Programm soweit
funktioniert, daß die Kommunikation möglich ist.
Weiteres: www.foebud.org
Kerstin Lenz
Ankündigung