ChaosComputerClub e.V. Hamburg / FoeBuD e.V. Bielefeld

Visionen für die Infobahn

Digitale Städte und andere Ideen

Vier Vertreter unterschiedlicher Projekte stellen ihre Wege vor, die Menschen hinter den Bildschirmen wieder in den Vordergrund und näher zueinander zu rücken.

Zum einen galt es, Beispiele einer sinnvollen Nutzung der "bidirektionalen" Kommunikation in Datennetzen - als Gegensatz zum Einweg-Informationskonsum durch Rundfunk und Fernsehen - darzustellen. Zum anderen wurde das kulturelle Potential der Neuen Medien hervorgehoben und Visionen für eine Zukunft mit einem innovativen Klima entworfen, in der technischer Fortschritt keinen menschlichen Rückschritt bedeuten muß.

Der erste Sprecher war padeluun aus Bielefeld. Er engagiert sich im "Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs" (FoeBuD e.V.) dafür, Menschen mit unterschiedlichen Interessen zusammenzuführen. Technik, Zukunft, Umwelt, Wissenschaft, Politik, Kunst und Kultur werden in den monatlichen Veranstaltungen der PUBLIC DOMAIN in Vorträgen und Aktionen diskutiert. Die Mailbox //BIONIC ermöglicht den elektronischen Datenaustausch der Mitglieder, die sich in Zukunft in regelmäßigen Abständen persönlich im Mediencafé "Globaler Dorfbrunnen" austauschen können. Das Café bietet u.a. eine Anlaufstelle für Hilfesuchende, die sich in der Technik und dem dazugehörigen Fachchinesisch nicht zurechtfinden. Gefördert von einer Stiftung, Mitgliedsbeiträgen und Spenden, plant der FoeBuD als Ausweitung auch die Eröffnung von weiteren Mediencafés.

Herr Volkmann trug anschließend seine bei Siemens entwickelte Zukunftsvision vor, die ganz und gar nicht den vermuteten Stallgeruch des Elektrokonzerns trug: Idealistische Hoffnungen auf eine Gesellschaftsstruktur, die sich von bürokratischen Hindernissen nicht den Blick auf die Zukunft versperren läßt, die Innovationen der Gemeinschaft öffnet und kulturelle Werte nicht dem Kommerz unterordnet.

Als Skandal empfand er die gegenwärtige "Vernachlässigung von Kultur und Bildung". Anhand des Bildes der STADT illustrierte Volkmann die Katastrophen und Chancen der Medienzukunft. Von dem babylonischen Sprachengewirr, das heute droht, wenn sich Spezialisten und Normalverbraucher kaum noch verständigen können, bis zur Wiederbelebung eines demokratischen Miteinanders nach dem Muster der griechischen polis zeichnete er städtische Strukturen nach, in denen sich das zu Stein gewordene Wissen, die Macht und Kultur der Gesellschaft manifestiert. Wir müßten mehr für die Zukunft wagen - die innovationsfeindlichen Argumente: kein Geld, keine Zeit, keine Leute, dürften nicht länger hingenommen werden.

Gesellschaftliche Visionen, fundamentale Veränderungen und damit gesellschaftlicher Fortschritt entstünden weniger in Firmen oder Universitäten, sondern vielmehr in Randbereichen wie z.B. der Kunst und der Computertechnik. Zu den revolutionären Erneuerern gehörten auch Menschen wie Bill Gates, ein Vertreter der Spezies "Erfinderunternehmer", die ihre Visionen umgesetzt und damit ein neues Zeitalter eingeläutet haben.

Wohin uns die Segnungen der Technik führen, sei allerdings abhängig von der Kontrolle eines verantwortungsvollen Stadtrates: mit den Infoautobahnen ist es schließlich nicht getan, was passiert mit den Daten, wenn sie in den Stadtverkehr geraten? Den Informationsmarkt als das Geschäft der Zukunft zu erschließen, darf laut Volkmann nicht das einzige Ziel bleiben. Im Zuge der Kommerzialisierung droht die Gefahr, das Wichtigste, den Nutzen für den Menschen, aus den Augen zu verlieren. Masse, Größe und Geld dürfen nicht die einzigen Kriterien sein, nach denen gesellschaftlicher Fortschritt gemessen wird. Wenn die Digitalisierung eine Chance für die Zukunft darstellen soll, dann müssen Phantasie und Experimentierfreude gefördert werden, muß Ernst gemacht werden mit dem "innovationsfreundlichen Klima". Schöne Worte.

Der nächste Sprecher war Rop Gonggrijp, er demonstrierte online die Digitale Stadt in Amsterdam, ein erfolgreiches elektronisches Kommunikationsprojekt mit bis zu 100.000 Logins im Monat. Die Teilnehmer können Informationen aller Art über Politik, Daten und Aktionen der Stadt Amsterdam abrufen, ihnen steht eine ansprechende graphische Oberfläche zur Verfügung, direkte Kommunikation zwischen den Usern und mit Politikern ist möglich, auch wenn letztere keinen Netzzugang haben: alle Zuschriften werden ausgedruckt und in die betreffenden Postfächer weitergeleitet. Die beispielhaften Entwicklungen aus den Niederlanden stießen auf allgemeine Bewunderung beim Publikum. Wer mal reinschauen möchte: IP 193.78.33.69 DDS.DDS.NL (ohne Gewähr). Inspiriert vom Vorbild Amsterdam wächst auch in Berlin das Projekt: Die internationale Stadt, das auf der Veranstaltung abschließend noch kurz vorgestellt wurde. In Tanzclubs stehen Terminals zur Verfügung, um über IRC-Programme (Internet Relay Chat) Kontakte und Kommunikation zu ermöglichen (IRC, /JOIN CLUBNETZ).

Alle diese Ansätze wollen der Vereinsamung vor dem Bildschirm entgegentreten. Zwischenmenschliche Kommunikation und persönliche Begegnungen gewinnen immer größere Bedeutung in einer Netzkultur, die sich in der Zukunft nicht im kostenpflichtigen Abrufen von bunten Grafiken erschöpfen darf.

Markus Schopmeyer <m.schopmeyer@link-goe.central.de>


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Stefan Kurtz,06.Jul.1995