Die Geschichte des digitalen Fernsehens in Deutschland beginnt 1996 mit Leo Kirchs DF1. Auf eigene Initiative bringt Kirch die erste digitale Set-Top Box an den Markt - er nennt sie D-Box. Mit der Technik der D-Box setzt Kirch Standards fuer das digitale Fernsehen in Deutschland.
Die D-Box kann zusaetzlich zu digitalen Fernsehprogrammen einen EPG (Electronic Programm Guide) anzeigen, mit dem sich Sendungen nach Themengebieten und Sendern geordnet heraussuchen lassen. Der EPG bringt eine grafische Oberflaeche auf den Fernsehbildschirm. Mit der Fernsteuerung steuert der Zuschauer ueber die D-Box sein Fernsehgeraet wie einen Computer. In der Tat ist die Set-Top Box nicht mehr als ein Computer, der das digitale Fernsehsignal dekodiert und auf dem Fernsehbildschirm anzeigt. Wie jeden Computer kann man die D-Box hacken.
Kirchs Alleingang beim digitalen Fernsehen hat eine Vorgeschichte: In der MMBG (Multimedia Betriebsgesellschaft) sassen 1995 alle grossen deutschen Fernsehmacher (Kirch, Bertelsmann, oeffentlich rechtliche Anstalten) zusammen, um sich auf einen gemeinsamen Standard fuer das digitale Fernsehen in Deutschland zu einigen. Nur ein gemeinsamer Standard ermoeglicht es dem Fernsehzuschauer mit einer Set-Top Box alle digitalen Programme der konkurrierenden Anbieter zu empfangen.
Ausser Gerede und Diskussionen brachte die MMBG nicht viel zustande. Leo Kirch aber wusste: wer es zuerst schafft, eine proprietaere (fuer andere nicht offene) Technik in den Wohnzimmern der Deutschen zu installieren, errichtet eine Markteintrittshuerde fuer seine Konkurrenten. Genau das bezweckte Kirch mit DF1: eigentlich hatte er keine Lust, mit seinen Konkurrenten ueber Standards zu reden - er wollte das Geschaeft mit dem digitalen Fernsehen lieber alleine machen.
1996 entwickelte Leo Kirchs Firma Betaresearch zusammen mit Nokia die D-Box. Kirch orderte eine Million D-Boxen, um auf ihnen Spartenkanaele zu senden (Spielfilm, Sport, Sex gegen monatliche Abonnementsgebuehren). DF1 wird verschluesselt gesendet und der EPG wird in einem Format (betanova) uebertragen, ueber das Kirch nichts verraet. Wer auf DF1 senden moechte, muss mit Kirch Vertraege abschliessen, die unter anderem voraussetzen, dass ueber Kirchs eigenes digitales Sendezentrum (Play-Out Center) ausgestrahlt wird.
Zwei technische Hemmschwellen verhindern also fruehzeitig, dass alle Anbieter Zugang zum Digital-TV haben:
Die Reaktion der Konkurrenz laesst lange auf sich warten: Bertelsmann ist von Kirchs Schritt sichtlich geschockt. Man denkt in Guetersloh zwar ueber eine eigene Box nach, entwickelt aber dann keine Konkurrenzplattform zu Kirch (keine Ahnung von der Technik). Kleinere Streitereien gibt es beim gemeinsam betriebenen Pay-TV Sender Premiere (analog). Nachdem klar ist, dass Bertelsmann Premiere nicht ohne Kirch betreiben kann (Kirch liefert die Filme) kommt es zu einer erneuten Annaehrung der beiden Player. Schliesslich versucht Bertelsmann Premiere gemeinsam mit Kirch zu einer gemeinsamen Digitalplattform auszubauen. Dieser Versuch scheitert an einer Klage des EU Kommissars Karel van Miert.
Warum Kirch wieder mit Bertelsmann redet? Geldprobleme! DF1 verkauft sich nicht gut. Kirch sitzt auf den D-Boxen, die er Nokia abgekauft hat. Ueber eine Milliarde DM verbraten - da zoegert selbst die Bayerische Landesbank mit einem Kredit fuer ihren Spezi Kirch.
Seine Reaktion ist fuer ihn typisch: die Flucht nach vorn. Kirch uebernimmt in einem Kraftakt die Bertelsmann Anteile an Premiere und startet zum 1. Oktober 1999 Premiere World (ersetzt DF1). Ueber eine Million Premiere analog Abonnenten sollen die D-Box bekommen und Kirchs Premiere World abonnieren.
Um diese Flucht zu finanzieren, reorganisiert sein Imperium (SAT.1, Pro7, Kabelkanal, DSF etc.) und nimmt Finanziers mit rein (Berlusconi, Al Walled). Trotzdem fehlen ihm Milliarden - wenn er sie nicht findet, geht Premiere Wold naechstes Jahr den Bach runter. Problem: Anleihen an seiner Firma werden in USA bereits jetzt asl "Junk Bonds" eingestuft.
Seit einigen Wochen redet Kirch mit seinem Erzrivalen Rupert Murdoch ueber eine Minderheitsbeteiligung (25%) bei Premiere World. Murdoch steigt bei Kirch ein. Fuer Kirchs Pay-TV bedeutet die Beteiligung von Murdoch in vieler Hinsicht die Rettung:
Interessante Inhalte fuer Premiere World: Die Champions-League, die Murdoch Bertelsmann weggeschnappt hat, wird auf Premiere World gesendet werden.
Die Finanzierung von Premiere World ist weiterhin gesichert. Kirch kann die erste Tranche von 900 Millionen fuer die Uebernahme der Premiere Anteile an Bertelsmann ueberweisen. Dies duerfte uebrigens auch Edmund Stoiber, den bayerischen Ministerpraesidenten interessiert haben (er ist extra nach Hollywood geflogen, um Murdoch zu treffen): Die Premiere Uebernahme war durch eine Buergschaft der halbstaatlichen Bayerischen Landesbank ueber 1.6 Milliarden DM gesichert. Der halbe CSU Landtag sitzt im Aufsichtsrat dieser Bank. Wenn die Buergschaft geplatzt waere, haette das den bayerischen CSU Waehlern bestimmt nicht gefallen.
Bertelsmann und Kirch teilen sich mit ihren Senderketten das deutsche Privatfernsehen auf. Das Fernsehgeschaeft ist lukrativ durch Einnahmen aus der Fernsehwerbung. Rupert Murdoch versucht in Deutschland bisher erfolglos fusszufassen. Er kauft sich beim Minisender TM3 ein und ersteigert sich die Rechte der Champions League. Wird es ihm gelingen, zum dritten grossen Player zu werden? Murdochs digitales Fernsehen B-Sky-B ist in England bereits sehr erfolgreich.
Die Entscheidung, wer das Rennen in Deutschland macht, wird beim Digitalen Fernsehen fallen. Es wird nicht mehr nur 30 Kanaele geben, sondern 600. Wer die attraktivsten Inhalte buendelt (Programmbouquets) und den Zuschauer an sich bindet (Abonnement/ EPG) wird die meisten Einnahmen (Werbung und Abogebuehren) haben.
Das Problem fuer die deutschen Senderketten: Mit dem digitalen Fernsehen oeffnet sich der deutsche Markt auch auslaendischen Sendern. Vor allem die Amerikaner draengen auf den deutschen Fernsehmarkt. Fuer die Amerikaner ist das einfach, da immer mehr Zuschauer englisch sprechen. Schliesslich gibt es ja das Internet und da ist eh alles englisch. Ausserdem kann man im digitalen Fernsehen ohne weiteres Programme gleichzeitig in mehreren Sprachsynchronisationen uebertragen.
Versuche, diese Entwicklung durch Blockaden zu beeinflussen (Kirchs propietaere D-Box) sind zum Scheitern verurteilt. Ein europaweit einheitliche Standard fuer die Formatierung digitaler Inhalte (genannt MHP) steht vor der Tuer. Nur ein Zuschauer, der eine MHP Box kauft, wird auf der sicheren Seite sein (viele verschiedene Digital-TV Sender sehen koennen). Ein Sender, der versucht, eigene Wege zu gehen, wird nur von wenigen Zuschauern empfangen werden.
Fazit: Mit der Einfuehrung des digitalen Fernsehens in Deutschland wird der Kuchen neu verteilt. Das Spiel lautet nicht mehr: Kirch gegen Bertelsmann sondern Kirch, Bertelsmann und Murdoch gegen die amerikanischen Networks und alle gegen alle.
Am Anfang ist der Film. Er wird von einem Produzenten (z.B. Hollywood Studio) fuer ein bestimmtes Budget (ein normaler Hollywood Film kostet so etwa 10 Millionen $) produziert. Der Produzent hat sich das Geld von Banken und Filmfonds geliehen und muss es irgendwann mit Zinsen zurueckzahlen. Dieser Return-Of-Investment kommt durch den Verkauf der Rechte zustande. Wer den Film vorfuehren will (z.B. im Fernsehen) muss die Rechte fuer ein bestimmtes Gebiet (z.B. Deutschland) kaufen.
Um das ROI zu optimieren, veroeffentlichen die Studios den Film nacheinander in unterschiedlichen Medien: Kino, Video/DVD, Video-On-Demand, Pay-TV, Videothek, Free-TV. Dadurch werden moeglichst viele (zahlende) Zuschauer erreicht.
Was passiert, wenn diese kuenstlich geschaffene Wertschoepfungskette gestoert wird, z.B. dadurch, dass ein Freund dir die DVD eines Films gibt, der in den Staaten aufgenommen wurde, in Deutschland aber noch gar nicht in den Kinos war: du siehst dir die DVD an und wenn dir der Film nicht supergut gefallen hat, gehst du nicht ins Kino, wenn der Film bei uns rauskommt. Der Produzent verliert dadurch Einnahmen. Genau das wird momentan zum Problem der Film- und Fernsehindustrie.
Die Digitalisierung von Video ermoeglicht das freie Kopieren von Filmen. In dem Moment, wo ein Film das Studio verlaesst, wird er von jemandem kopiert und verbreitet: ueber das Internet und ueber Video CDs/DVDs. Dies ist der Hauptgrund, warum sich das deutsche Fernsehen in naechster Zeit stark veraendert.
Man koennte es auch so ausdruecken: Filme werden gehandelt wie Raubkopien von Software. Momentan ist die Technik noch zu langsam, um eine ausreichende Bildqualitaet zu bieten. Aber das aendert sich. Welchen Schaden die Digitalsierung anrichten kann, sieht man bereits bei der Musikindustrie (innerhalb eines Jahres Umsatzeinbussen von 10%).